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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Peters
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ihres Falls zu tun hatte.
    »Das ist es, oder?« Sie tippte auf die Jurek-Akte und warf Kasper einen triumphierenden Blick zu, den der gelassen zurückgab. »In dem Sommer verschwindet der Kleine im Laufe des Festes am Südstrand von Göhren. Unter den Kindern befindet sich auch Silke Hoffer, die dein Kollege als auffällig traumatisiert in Erinnerung hat.« Romy griff mit einer hektischen Bewegung nach Max’ Ordner und zog ein Foto heraus. »Und hier taucht sie wieder auf. Silke heißt nun mit Nachnamen Kronwald. Sie ist Bauingenieurin, hat jahrelang in Hamburg gelebt, ist mittlerweile geschieden und kehrt vor zwei Jahren nach Rügen zurück, wie Max recherchiert hat. Bei der Feier anlässlich der Eröffnung der Jugendherberge wird sie zufälligerweise von einem Zeitungsfotografen abgelichtet …«
    Kasper beugte sich vor, um die Aufnahme aus der Nähe zu mustern. »Was macht sie da eigentlich?«
    »›Es gibt schon weitere Baupläne‹«, zitierte Romy die Bildunterschrift. »›Alle hoffen, dass die Gelder für die geplante Bildungsstätte im nächsten Jahr fließen werden‹. Ganz einfach, als Bauingenieurin interessiert sie sich für die weiteren Baumaßnahmen in der Prora und begegnet dort Monika Sänger wieder. So schließt sich der Kreis.«
    »Nun gut, du gehst also davon aus, dass damals bei diesem Sommerfest etwas geschehen ist, abgesehen vom Verschwinden des Jungen …«
    »Das nehme ich ganz stark an, denn danach gab es keineStrandfeste mehr in Göhren. Außerdem verließ ja die Sänger die Kita.«
    »Stimmt, aber in den Sommern davor wurde auch alljährlich am Südstrand ein Fest veranstaltet«, wandte Kasper ein. »Und Wassernixe geht in ihrer Mail – weder in der ersten noch in der zweiten – mit keinem Wort auf Jurek ein. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sie sich auf davorliegende Jahre bezieht.« Er atmete angestrengt aus, zog den Ordner zu sich heran und suchte die Seite mit dem ersten Mailtext heraus:
    Am Strand der bösen Erinnerungen, Projekt kleine Mädchen, so wie ich. Bella Wassernixe, sagt Ihnen das noch etwas? Mir schon. Spiegelland, Spiegelland, was spiegelt sich in deiner Hand? Die böse Gier in Ihren Augen vergesse ich nie. Ziehen Sie die Konsequenzen, stellen Sie sich und verlassen Sie sofort die Kita! Weg von Kindern, für immer. Sonst sorge ich dafür. Wassernixe, längst kein Mädchen mehr.
    »Projekt kleine Mädchen«, wiederholte Romy leise. »Die Ausdrucksweise passt zu einer Ingenieurin, findest du nicht? Am Strand der bösen Erinnerungen, das wiederum klingt anders.« Sie stand abrupt auf und stellte sich ans Fenster. »Jurek verschwindet spurlos. Dein Kollege beschreibt Silke als völlig traumatisiert – unter Umständen hat sie etwas beobachtet. Wäre doch möglich?« Sie drehte sich abrupt zu Kasper um. »Und wenn es zwischen Wassernixes Leid und dem Verschwinden des Kindes doch einen tieferen Zusammenhang gibt?«
    Kasper starrte sie lange schweigend an. Er will ihn gar nicht wissen, dachte Romy, und ich kann ihn so gut verstehen. Sie schloss kurz die Augen. »Wir müssen zügig mit der Kronwald sprechen, soviel ist klar. Aber ich bin dafür, zunächst dem Ulrich Poschke auf den Zahn zu fühlen. Er kann uns hoffentlich genauer erzählen, in welcher Verfassung die Sänger damals war – ich bin davon überzeugt, dass sie Rügen nahezu fluchtartig verlassen hat. Komm, lass uns zunächstnach Lohme fahren. Ein kleines Fischlokal am Jasmund ist jetzt genau nach meinem Geschmack.«
    Dagegen hatte Kasper nichts einzuwenden. Er entschied sich für die Route, die über Mukran und Sassnitz durch den Nationalpark nach Norden führte. Wintermärchenwald in berückender Stille. Zeitlos. Märchen. Spieglein, Spieglein an der Wand, Spiegelland, Spiegelland, was spiegelt sich in deiner Hand.
    In einem alten Schuhkarton hatte sie einige seiner letzten Bilder aufbewahrt. Bunt- und Bleistiftzeichnungen von Beilen und Gefäßen, Äxten und Pfeilspitzen, Bernsteinperlen und Knochen, dazu Umrisse von den Überresten des Hünengrabs und von mächtigen Bäumen. Jurek hatte für einen Neunjährigen erstaunlich gut gezeichnet. Diese Grabkammer hat ihn nicht losgelassen, dachte Helga Stolte. Er wäre ganz sicher Archäologe geworden, Altertumsforscher. Das hätte sie sich gut für ihn vorstellen können.
    Sie saß auf dem Fußboden in der kleinen Kammer im Obergeschoss, das sein Kinderzimmer gewesen war, und spürte kaum, dass ihr Gesicht tränennass war. Den Karton bewahrte sie seit jenem

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