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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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wechselte. Es ist an und für sich schon ungewöhnlich, dass der Chefarzt sich um eine reißt, die nicht einmal Sonderklassepatientin ist. Dazu kam, dass Sachs in seiner unendlichen Präpotenz natürlich darauf verzichtete, ihn, den Jungarzt, in die Entscheidung einzubinden.
Ab morgen übernehme ich die Einzeltherapie bei der Dame, Herr Kollege. Sie haben ja sicher nichts dagegen?
Entscheidungsfindung à la
3D!
Man könnte es auch als eine wenig subtile Abwertung der fachlichen Kompetenz von Untergebenen betrachten. Man könnte sich sogar darüber beschweren. Aber er hat sich den Unmut natürlich nicht anmerken lassen …
    Wie auch immer – wie soll er jetzt mit dieser Geschichte umgehen? Ohne jeden Beweis, mit nichts als einer vollgekritzelten Ansichtskarte in der Hand?
    Vertrauen mag ja ehren, gut und schön. Nur: Es kann auch jede Menge Stress erzeugen!

16 K ONZENTRISCHE K REISE
    Nichts wie raus! Was er jetzt braucht, ist Bewegung, das muss ihm kein Arzt verordnen. Hagen hat sich zu einem ausgedehnten Spaziergang im Klinikpark entschlossen. Die Feldenkraistherapie um sechzehn Uhr wird heute ohne ihn stattfinden, niemand wird es ihm verdenken. Nicht nach dem, was sich in den vergangenen zwei Stunden abgespielt hat.
    Die letzten Sonnenstrahlen tunken die rissige Rinde der Kiefern, die seinen Lieblingsweg säumen, in ein mildes Orange. Er wünschte, laufen zu können wie die jungen Energiebündel im bunten, hautengen Outfit, die mit elastischen Schritten an ihm vorbeitraben. Aber er weiß, dass er das seiner Hüfte nicht zumuten kann.
    Automatisch biegt er bei der beschilderten Kreuzung auf jenen Pfad ein, der zum kleinen, von einem Schilfgürtel eingezäunten Teich führt. Es ist derselbe Weg, auf dem er vor ein paar Tagen erstmals auf Prader getroffen ist. Schon von Weitem sieht er die zwei Gestalten. Zwei alte Frauen, die, die Arme untergehakt und in dicke Mäntel verpackt, langsam auf ihn zukommen. Erst als sie sich auf wenige Meter genähert haben, erkennt er die eine von ihnen wieder.
In meinem Alter muss man lernen, das Weinen zu genießen. Sonst bleibt nicht viel übrig zu genießen
– eine Einsicht, die ihm seither nicht mehr aus dem Kopf geht. In der Hand hält Frau Karner ein Büchlein, aus dem sie der anderen, sehr gebrechlich wirkenden buckeligen Dame halblaut etwas vorliest. Als sie mit Hagen auf gleicher Höhe sind, versteht er den Text:
    „Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, …“
    „… der für uns das schwere Kreuz getragen hat.“
    Sie lassen sich von seiner Gegenwart nicht beirren und rezitieren weiter, beantworten sein Kopfnicken nur kurz mit einem ebensolchen. Dann sind sie schon an ihm vorbei, und ihre Worte werden vom Wind verblasen. Dennoch weiß Hagen, wie die Fortsetzung lautet, der Schmerzensreiche Rosenkranz ist fest in ihm verankert. Er hat ihn ja sogar schon auf Englisch kennengelernt – kennenlernen müssen! In jener Nacht, als sie Lisa vom Berg herunterholten und in der kleinen Leichenhalle aufbahrten. Sie, die keine Chance hatte, mit ihrem Leben in Würde abzuschließen. Aber welches Unfallopfer bekommt schon diese letzte, vielleicht wichtigste Vergünstigung zugesprochen?
    Die Begegnung hat ihn gerührt. Die beiden Alten scheinen ihren endgültigen Abschied vorzubereiten. Ganz selbstverständlich und unsentimental, dem Schicksal oder was immer offen in die Augen schauend. Er wünschte, er hätte ein ähnliches Büchlein, an das er sich halten könnte. Und den dazu nötigen Glauben.
    Obwohl die letzten Tage Schönwetter herrschte, ist die Bank am Teichufer feucht. Hagen legt die Handschuhe zwischen sein Hinterteil und das schwarze Holz. Mit geschlossenen Augen lässt er Revue passieren, wie die Erstbefragung mit den deutschen Kollegen verlief.
    Nein, nach einem Abschiedsbrief würden sie nicht zu suchen brauchen, der Suizidversuch sei wohl eine Folge der vorausgegangenen Eskalation während der Gesprächstherapie gewesen. „Schöne Therapie!“, meinte der jüngere, schlaksige Streifenpolizist sarkastisch, „genau so stell ich mir eine erfolgreiche Behandlung vor!“ Hagen schilderte den beiden in groben Zügen, was zum Streit geführt hatte, ohne allerdings Praders Part als so bedeutsam darzustellen, wie er in Wirklichkeit gewesen war. Eigentlich eine sinnlose Fürsorglichkeit seinerseits – niemand würde dem Kabarettisten daraus einen Strick drehen

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