Duenne Haut - Kriminalroman
…“
„Warten Sie!“, unterbricht er. „Lassen Sie mich raten, warum. Vielleicht … vielleicht hat sich einmal eine über ihr Gesicht gelegt, als Sie noch ein Baby waren? Und seither leiden Sie unter Erstickungsangst, sobald Sie eine Katze sehen?“
„Nein. Wie kommen Sie darauf?“
„Na ja. Ein Bekannter von mir ist bei der Kripo in Vorarlberg. Und der hat mir einmal seinen eigenartigsten Fall erzählt. Wollen Sie ihn hören?“
„Gerne.“
Jetzt fühlt Hagen sich wieder in seinem Element. Bis auf die Einleitung stimmt die Geschichte sogar. Immerhin schildert er einen Fall, in dem er selbst ermittelt hat.
„Also, das war in der Nähe von Bezau, in einer dieser uralten Bergbahnen im Bregenzerwald. Da fährt eine Frau alleine in der Gondel hinauf, um auf der Hohen Niedere eine Sonntagswanderung zu unternehmen. Als sich oben die Gondeltür öffnet, liegt eine Tote drin. Plötzliches Herzversagen, lautet die ärztliche Diagnose. Routinemäßig wird die Kripo beigezogen. Die untersucht den familiären Hintergrund und stellt fest: Die Frau hat mit ihrem Mann jede Menge Streit gehabt, bis hin zu körperlichen Übergriffen seinerseits, die ganze Nachbarschaft wusste davon. Und der Mann, ein Apotheker, hat schon seine erste Frau auf ungeklärte Weise verloren – auch damals war akutes Herzversagen bei einer sonst Kerngesunden der Grund. Der Mann gerät in Verdacht, etwas Gefährliches zusammengepanscht zu haben, um sie loszuwerden. Es soll ja Substanzen geben, die sich später schwer nachweisen lassen im Körper. Tagelang wird der Apotheker von der Kripo einvernommen und verstrickt sich immer mehr in Widersprüche. Jeder hält ihn für den Täter. Bis irgendwann, bei der Befragung der Eltern der Frau, herauskommt, dass sie eine massive Katzenphobie und -allergie hatte. Die rührte daher, dass ihr als Baby einmal eine Katze minutenlang auf dem Gesicht gelegen war und ihr die Luft genommen hatte, bis der Vater das Tier endlich verscheucht hat.“
„Aber was hat das mit ihrem Tod zu tun?“
„Warten Sie! Nach dieser neuen Information nahm man sich die Ergebnisse der Spurensicherung noch einmal vor, und siehe da: Katzenhaar war in der Gondel nachweisbar, in gar nicht so geringer Menge, und auch ein Kratzer an der Hand der Leiche erschien nun in einem neuen Licht.“
„Ich verstehe noch immer nicht …“
„Es dürfte sich so abgespielt haben: Bei der Mittelstation, wo die Gondeltür automatisch aufgeht, muss sich eine der verwilderten Katzen, die dort hausen, in die Gondel eingeschlichen haben. Alleine mit der Katze in der Kabine hat das Drama seinen Lauf genommen, die Frau stirbt in ihrer Panik an Herzversagen. Bei der Bergstation marschiert die Katze einfach wieder aus der Gondel hinaus, und nur die Leiche bleibt zurück. Das Irre ist, dass der Liftwart das Tier beim Rauskommen sogar gesehen hat, wie er später erklärte. Aber bei der Erstbefragung erschien ihm diese Beobachtung zu bedeutungslos, um sie zu erwähnen.“
„Das ist aber wohl auch kein wirklicher Beweis dafür, dass die Frau so zu Tode kam, oder?“
„Nein. Aber als Entlastung für den Apotheker hat es allemal gereicht, und der Fall wurde zu den Akten gelegt.“
Marie Therese schweigt sinnierend und zündet sich eine Zigarette an. „Kann ich auch eine haben?“, sagt er. „Natürlich“, sagt sie, „entschuldigen Sie. Ich wusste ja nicht, dass Sie Ihren Vorsatz schon wieder aufgegeben haben.“
„Tja“, erklärt er mit einem Schulterzucken, „der Mensch denkt, die Sucht lenkt.“
Sie nickt. „O ja. Aber ich mag Menschen, die bereit sind für Veränderungen.“
Geradezu verschwörerisch hat sie ihm den Satz zugeraunt. Ein perfekter Rauchkringel schwebt wie eine Bestätigung an seiner Nase vorbei. Er zieht es auch diesmal vor, nicht auf ihre Bemerkung zu reagieren. Was ist das schon für eine Veränderung?, denkt er – vom Raucher nach nur wenigen Tagen wieder zum Raucher zu werden.
„Um noch einmal auf Ihre Geschichte zurückzukommen: Ich habe da eine Theorie. Eigentlich gibt es nur zwei Typen von Menschen: Die einen hassen Katzen, die anderen Hunde.“
Von der Theorie habe er auch schon gehört, lächelt Hagen. Bloß kannte er sie bisher in einer etwas anderen Version.
„Heißt es nicht: Die einen
mögen
Katzen, die anderen Hunde?“
Sie schüttelt heftig den Kopf. „Nein, meine Formulierung ist richtig! Der Hass ist unsere wahre Triebfeder. Das, was uns überleben lässt. Und manche verdienen es auch, gehasst zu
Weitere Kostenlose Bücher