Duerers Haende
Version allerdings offensichtlich nicht abnahm, war Eva Brunner. Die Kommissaranwärterin, die bis jetzt geschwiegen hatte, fragte: »Sind Sie katholisch, Herr Ostapenko?«
Bevor er antworten konnte, lachte seine Frau hell auf. »Ha, mein Mann und katholisch. Mein Mann ist nichts, gar nichts. Ich habe damals einen absoluten Heiden geheiratet. Religion ist für den so notwendig wie ein Kropf. Kirchen sind für Chanim nur vergeudeter Wohnraum.«
Paula Steiner griff nach der Keksschale, die zu ihrem Erstaunen leer war. »Habe ich jetzt die ganzen Kekse gegessen?«
Stefanie Vitzthum nickte lächelnd. »Dafür sind sie ja da. Ich kenne das, ich kann bei Nüssen nicht widerstehen. Egal, bei welchen.«
Blieb nur noch eine Frage, die Standardeingangs- oder -abschlussfrage aller Kommissare, der echten wie der aus den Filmen. »Hatte Herr Shengali Feinde? Oder kennen Sie jemanden, der ihm nicht so wohlgesonnen war wie Ihr Chef und Sie?«
Ostapenko dachte nach. Man sah förmlich, wie er in seinem Gedächtnis nach Personen wühlte, die dafür in Frage kamen. Als er bei den Grabarbeiten fündig geworden war, hellte sich seine Miene auf. »Ja. Es gibt zwei Fahrer bei Frey-Trans, die uns nicht in der Spedition haben wollen. Für die sind wir nur die Ausländer. Dabei ist Abdu schon seit über zwölf Jahren in Nürnberg. Und ich bin mit einer deutschen Lady«, er sagte tatsächlich Lady, »verheiratet. Auch schon sieben Jahre lang. Wir zahlen hier unsere Steuern, schicken unsere Kinder auf deutsche Schulen oder in deutsche Kindergärten. Zahlen an deutsche Hausbesitzer unsere …«
Als sie merkte, wie er sich in Rage redete, unterbrach sie ihn. »Wie äußerte sich diese Ablehnung der beiden Fahrer?«
»In solchen blöden Bemerkungen wie ›Na, am Sonntag wieder einen Schweinsbraten gegessen und eine Halbe dazu getrunken?‹. Dabei wissen die genau, dass Abdu Moslem ist und kein Schweinefleisch essen oder Alkohol trinken darf. Außerdem hat der Rüttler auf der letzten Weihnachtsfeier ganz laut gesagt, sodass es jeder hören musste: ›In einem Nürnberger Transportunternehmen haben Mongolenschädel nichts verloren, die sollen doch wieder in ihre Steppe zurückgehen, zu ihren Zelten und Kamelen.‹ Damit hat er bestimmt mich gemeint.«
Das lag nahe. »Wie haben die beiden Chefs darauf reagiert? Haben die etwas dazu gesagt?«
»Joachim natürlich nicht. Der meint ja im Grunde, es ist eine Gnade, dass wir bei Frey-Trans arbeiten dürfen. Ich mit meiner Vorstrafe und Abdu, weil er das Freitagsgebet einhalten will. Für den sind wir auch nur die Ausländer. Und werden es immer bleiben. Aber dem Senior war das gar nicht recht. Der hat zu Rüttler gesagt, er will keine schlechte Stimmung auf der Weihnachtsfeier. Er soll das sein lassen. Wir in der Firma sind eine Mannschaft, ein Team, wir müssten doch alle zusammenhalten.«
»Chanim, erzähl auch das mit den Anzeigen und den Gutscheinen. Das passt doch genau zu diesem Thema«, forderte ihn Stefanie Vitzthum auf, die soeben mit einer frisch gefüllten Keksschale das Zimmer betrat.
Paula Steiner sah zu Ostapenko, der seiner Frau ein fast unmerkliches Zeichen in Form eines angedeuteten Kopfschütteins gab.
»Was ist mit diesen Anzeigen, Herr Ostapenko? Das würde mich interessieren.«
»Nichts, meine Frau verwechselt da was. Das hat mit uns, mit Abdu und mir, nichts zu tun. Das betrifft alle Fahrer. Das Problem gibt es in jeder Spedition.«
Sie glaubte ihm nicht, wusste aber, dass es sinnlos war, ihn jetzt und hier dazu zu befragen. Diese Quelle, an die seine Frau sie arglos führen wollte, durfte von seiner Seite aus anscheinend nicht preisgegeben werden. Warum nicht? Wovor hatte er Angst?
Sie stand auf, aber erst nachdem sie sich nochmals aus der Schale bedient hatte, und verabschiedete sich. Mit vollem Mund und zwei Miniflorentinern in der linken Hand.
Auf der Straße vor dem Haus fragte Eva Brunner: »Glauben Sie ihm?«
»Ja. Ich glaube, was er gesagt hat. Aber ich würde auch gerne erfahren, was er uns nicht gesagt, was er uns vorenthalten hat.«
»Die Sache mit den Anzeigen und Gutscheinen?«
»Ja. Aber darum kümmern wir uns ein anderes Mal. Für heute ist Feierabend. Am Donnerstag haben doch unsere Praktikanten und Anwärter ihren freien Tag. Oder hat sich das in der Zwischenzeit geändert?«
»Nein, das ist immer noch so.«
»Dann sehen wir uns also am Freitag wieder, Frau Brunner.«
»Ich kann auch gern morgen kommen. Mir macht das nichts aus. Im Gegenteil.
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