Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
vermeintlichen Täter Siegfried Wüllenhues. Dann wurde klar, Wüllenhues hat den Mord nicht begangen, und als Nächstes brennt ein alter Schuppen auf dem Anwesen der Schulte-Steins. Kurz darauf wird bei Rosa Deutschmann eingebrochen, doch geklaut wird nur ein altes Fotoalbum von der Familie Schulte-Stein. Ein paar Tage passiert nichts, dann wird Rosa Deutschmann ermordet. Es hängt alles zusammen. Und wenn ihr mich fragt, ist der Schlüssel das Fotoalbum, das Rosa besessen hatte. Das mit den Bildern aus den Vierzigern. Bilder aus einer Zeit, als Alfons und Rosa noch Kinder waren.«
»Du meinst, alles geht zurück in die Vierzigerjahre?«, fragte Gratczek und machte ein skeptisches Gesicht.
»Das ist nur eine Option. Aber lasst uns doch mal darüber nachdenken.«
»Das ist jetzt siebzig Jahre her. Wer lebt denn noch von damals? Nur die, die zu der Zeit kleine Kinder waren. Alle Erwachsenen sind lange tot.«
»Bis auf Carl Beeke«, wandte Keller ein.
»Und den können wir wohl ausschließen«, meinte Gratczek. »Der hat kein Motiv, seine Tochter hat ihm ein Alibi gegeben, und körperlich wäre er gar nicht in der Lage, die Morde zu begehen.«
Keller schüttelte den Kopf. »Was hätte Alfons damals tun können, das einen Mord rechtfertigt? Wie alt war er zu dieser Zeit? Fünf oder sechs Jahre, wenn ich mich nicht irre.«
»Wir brauchen das Fotoalbum«, sagte Hambrock. »Dann haben wir auch die Antwort.«
»Wenn wir das Fotoalbum haben, dann haben wir wohl auch den Täter. Wie willst du darankommen? Überhaupt frage ich mich, weshalb der Täter das Album zunächst stiehlt, um später dann noch mal zurückzukommen und Rosa zu ermorden.«
»Vielleicht ist ihm da erst klar geworden, dass Rosa eine Gefahr darstellt«, sagte Hambrock. »Er hat begriffen: Sie weiß etwas, das ihn bedroht.«
»Rosa wusste also etwas«, meinte Keller. »Und zwar darüber, was auf dem Hof von Schulte-Stein passiert ist. Damals in den letzten Kriegstagen.«
»Das ist zumindest eine Möglichkeit.« Hambrock stand auf. »Stellt eine Liste zusammen mit allen Leuten, die zu der Zeit auf dem Hof gelebt haben. Wann wurden diese Fotos geschossen? Irgendwann zwischen 1936 und 1944. Ich möchte jeden Bewohner aus dieser Zeit haben. Vielleicht gibt es ja doch noch einen, der heute lebt.«
»Wer kommt da alles infrage?«, hakte Gratczek nach. »Erst einmal natürlich die Familie Schulte-Stein. Aber wer noch?«
»Es waren Mägde und Knechte auf dem Hof«, sagte Keller.
»Das wird schwierig werden«, meinte Hambrock. »Soweit ich weiß, wurden damals keine Verträge gemacht. Das ging alles per Handschlag. Wir müssen uns durchfragen.«
»Und was ist mit Kriegsgefangenen?«, warf Möller ein.
»Richtig, die gab es auch. Aber da finden sich bestimmt heute noch Unterlagen. Am besten fragen wir im Kreiswehrersatzamt nach.«
»Außerdem waren Flüchtlinge auf dem Hof. Später, gegen Kriegsende. Rosa Deutschmann und ihre Mutter waren bestimmt nicht die Einzigen.«
»Auch das wird irgendwo dokumentiert sein.«
Keller blickte auf die Uhr. »Nur heute erreichen wir keinen mehr. Freitagnachmittag. Vor Montag wird das wohl nichts.«
Er hatte recht. Sie würden vorerst darauf angewiesen sein, sich in Düstermühle durchzufragen. So lange wenigstens, bis das Wochenende vorüber war.
»Wir müssen an den Stammtisch ran«, meinte Gratczek. »Die Nachbarn von Wüllenhues. Die wissen was, die ganze Bagage, davon bin ich überzeugt.«
Hambrock nickte. »Was ist mit Walther Vornholte? Wir wollten ihn in die Mangel nehmen. Er ist das schwächste Glied in der Kette. Nach dem Mord an Rosa Deutschmann könnte es unter Umständen noch einfacher sein, an ihn ranzukommen.«
»Ach so.« Keller setzte ein verlegenes Grinsen auf. »Das hätte ich fast vergessen. Ich sollte doch die Geschwister von Alfons aufspüren. Die Kriegswaisen, die damals von Schulte-Stein adoptiert wurden.«
»Und?«
»Die meisten leben nicht mehr. Alfons, Hanne, Magda und Fritz sind tot. Nur Friedhelm lebt noch, aber der wohnt in Neuseeland und ist seit vielen Jahren nicht mehr in Deutschland gewesen. Aber das Interessante ist auch gar nicht, wer von ihnen noch lebt, sondern wer damals in Düstermühle geblieben ist.«
»Ich verstehe nicht.«
»Alfons hat den Hof übernommen. Alle anderen sind fortgezogen, so weit, wie es nur ging. Alle bis auf eine: Hanne Schulte-Stein. Sie ist hiergeblieben. Sie hat in Düstermühle geheiratet.« Keller lächelte. »Dreimal dürft ihr
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