Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
deshalb. Wenn mein Tod mein Ziel gewesen wäre, hätte ich auch einfach in Frankreich bleiben können. Irgendwann hätten sie es schon geschafft, mir zu viel Blut abzunehmen …
Ich wollte leben, sonst wäre ich nicht geflohen, sonst hätte ich nicht erlaubt, dass Zac mich zu seinem Sohn machte, mich zur Schule schickte und alles andere auch nicht!
Zum Sterben war ich schlicht zu jung, hatte zu wenig Positives erlebt, und zu wenige meiner eigenen Träume ersonnen und wahr werden lassen.
Also, Suizid war abgehakt, so oft mir der auch in den Sinn kommen mochte angesichts meiner ausweglosen Situation.
Die andere Option war eine erneute Flucht. Zurück in die Unsicherheit, einen Schlafplatz, eine Dusche oder auch nur etwas zu essen zu finden. Zurück in die Hetzjagd und den Terror, der mich auf der Straße immer wieder übermannt hatte.
Ich hatte keinerlei Zweifel, dass sie mich auf Dauer auch hier finden würden, aber bis dahin … nun ja, befand ich mich in Gesellschaft, hatte Menschen, die mir wichtig waren, die mir zuhörten, die ich meine Freunde und Bekannte nennen konnte.
All das war mir so viel wert!
Und doch würde ich es aufgeben müssen, das neue Leben, das Zachary, mein Dad, mir geschenkt hatte.
Ich besuchte ihn Mitte November, um mit ihm zu besprechen, was mir an Möglichkeiten blieb. Er versuchte, mich davon zu überzeugen, dass ich ohne Yves kein besonders einfaches Leben haben würde, allein schon, weil Hormone irgendwann auch dazu neigten, einen Menschen durchdrehen zu lassen. Er hielt das für sehr gefährlich, gerade in meinem Alter. Übersteigerte Aggression, die sich irgendwann auch gegen mich selbst richten würde, machte ihm Angst.
Und das wollte ich nicht.
Also beschloss ich, durchzuhalten. Irgendwie.
Vielleicht würde sich durch den Urlaub über Weihnachten alles wieder etwas entspannen.
Da war sie, die Hoffnung. Denn natürlich hoffte ich, dass alles wieder gut würde. Dass ich Yves wieder das geben konnte, was er verdiente, nicht das, was unsere Körper von uns verlangten.
Es war alles so grausam und unsinnig! Es machte mich mürbe im Kopf und meine schulischen Leistungen sanken auf ein geradezu unterirdisches Maß.
Das aber hatte zur Folge, dass meine Lehrer mir Nachhilfen organisierten und mich aus allen Freizeitaktivitäten nahmen. Ich durfte nicht mehr Rudern, nicht mehr Bogenschießen, hatte keine Lesegruppe mehr und durfte auch nicht zum Zeichnen. Selbst Drent war gestrichen. Tja, nun lernte ich die wahre Strenge von Tennington Castle kennen.
Statt all der Stunden zu meiner freien Verfügung hockte ich ständig in der Bibliothek, in Klassenräumen und Schlafzimmern. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, war Yves in den meisten Fächern derjenige, der als einer der besten des Jahrgangs mir in Sachen schulischer Leistungen auf die Sprünge zu helfen hatte. Er war eben super in der Schule, stand überall auf eins und war auch nur deshalb mein Mentor geworden. Nun war er es doppelt und ich verbrachte Stunde um Stunde im wahrsten Wortsinne in seinem Dunstkreis.
Klar, unter anderen Voraussetzungen hätte ich das genossen, aber so?
Ich fragte mich, ob Stephen das mit Absicht so organisiert hatte. Ob Dad ihn dazu angestiftet hatte. Aber es spielte keine Rolle, denn ändern konnte ich nichts an all dem.
Irgendwann war ich so weit, dass ich die Fächer und Übungsstunden, in denen ich Yves nicht sah, sowie die Zeiten, zu denen er mit Giacomo draußen durch die Landschaft ritt, als wahre Wohltat empfand.
~*~
William sah mich genervt an. Wir saßen in meinem Zimmer und er versuchte seit einer Stunde, mir wir die Kohlenwasserstoffverbindungen von Zuckern und deren Verwertung in chemischen Reaktionen nahezubringen.
„Etienne, es wäre echt nett, wenn du wenigstens so tun würdest, als hättest du was kapiert!“
Ich seufzte. „Ja, tut mir leid, ich kann mich einfach nicht konzentrieren!“
„Ich weiß, du malst die ganze Zeit Skizzen von Yves, anstatt auch nur eine einzige der Reaktionsgleichungen zu lösen!“
Er hatte ja recht. Ich passte nicht auf, malte blöde Bildchen und hatte das Gefühl, mein Hirn hätte sich in eine teflonbeschichtete Kugel verwandelt, von der jegliches Wissen und Verstehen einfach herabrannen.
„Ehrlich, ich will es ja kapieren, aber … da ist einfach kein Platz in meinem Kopf!“, jammerte ich.
William entspannte sich sichtlich und seine Hand legte sich auf meine Schulter. „Hey, vielleicht solltest du echt noch mal über eure
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