Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
Reisepass noch etwas mitgegeben hatte, sah ich erst jetzt.
Unschlüssig drehte ich das kleine Päckchen in der Hand und schob es in meine Jackentasche. Mir fehlte eindeutig die Ruhe, es jetzt auszupacken, außerdem war es in weihnachtliches Geschenkpapier verpackt. Das bedeutete wohl, mein Freund hatte mir etwas schenken wollen …
Ich ihm auch, das Paket lag noch in meinem Zimmer in Tennington Castle. Ganz hinten im Kleiderschrank. Ich dachte kurz daran, wie ich mir vorgestellt hatte, was für ein Gesicht er machen würde, wenn er es auspackte.
Ein Seufzen hielt mich davon ab, hier noch lange verträumt herumzustehen.
Ich schnappte mir einen Pullover von Zachary. Einen getragenen. Ich wollte seinen Geruch bei mir haben. Die klägliche, bittersüße Illusion davon, nicht vollkommen allein zu sein.
Mit einem Ruck wandte ich mich ab, nahm Reisetasche und Rucksack und verließ das Hotel.
Kapitel 26
YVES
Missmutig starrte ich auf den riesigen Monitor im Verlies. Ich klickte mich durch Websites, ließ Metasuchen laufen, veränderte die Suchbegriffe und fand mit jeder Minute mehr über das Netzwerk der Delaports heraus.
Seit zwei Tagen funktionierte der neu aktivierte Teil meines Gehirns endlich fehlerfrei. Die Kopfschmerzen ließen nach und irgendwie traute sich niemand mehr in mein Blickfeld.
Gedanken hatten keine Stimme, ich konnte nie genau sagen, wer sie gedacht hatte, solange derjenige nicht vor mir stand. Vielleicht würde sich das noch ändern, ich wusste es nicht, aber Jenkins war fest davon überzeugt, dass sich dieser neue Sinn noch verfeinern würde.
Mir war es egal, ich hatte diese absonderliche Art der Kommunikation und den dafür zuständigen Hirnsektor mit neuen Vernetzungen überbrückt, um selbst entscheiden zu können, wann ich die wirren Hirngespinste meiner Mitmenschen ‚hören‘ wollte und wann nicht.
Weihnachten war bereits vorbei, das neue Jahr hatte schon angefangen und ich wurde mit jeder vergangenen Stunde unruhiger.
In zwei Tagen sollten Zachary und Etienne hier eintreffen. Wir hatten seit kurz vor Weihnachten nichts mehr von ihnen gehört. Das bereitete mir keine allzu großen Sorgen, denn tief in mir spürte ich, dass mein Geliebter lebte und in Ordnung war. Übrigens machte mich meine sexuelle Immunität gegenüber einem wirklich schnuckeligen Labormitarbeiter zusätzlich darauf aufmerksam …
Ich grinste, dann rief ich ein Bild aus einem Newsflash auf und mir wurde eiskalt. Ich konnte nicht einmal genau zuordnen, wieso mir das Foto eines zerbombten Restaurants in einer brasilianischen Stadt so nahe ging – bis ich das Datum und die Bildunterschrift sah. Es war entstanden, als Zachary und Etienne in Brasilien gewesen waren, zwei Tage vor Weihnachten. ‚Bombenanschlag auf ein Hotelrestaurant in Paraìba – 22 Tote, 4 Schwerverletzte.‘
Ich schluckte und starrte noch auf das Bild, während meine Direktvernetzung bereits neue Suchbegriffe durch die Glasfaserkabel schickte.
Innerhalb von Sekunden bekam ich die Informationen, die ich wollte. Nein, falsch, die ich nie, nie im Leben hatte bekommen wollen.
Ich riss das Interface von meinem Kopf und sprang auf, strauchelte und hastete schließlich schreiend durch die Flure vom Verlies zum Kernlabor.
„Ich muss sofort nach Brasilien!“ Das war, so glaubte ich, der erste halbwegs brauchbare Satz, den ich artikulieren konnte.
Mein Atem raste und meine Knie drohten, den Dienst zu versagen.
„Was ist passiert?“, fragte Jenkins und erhob sich von einem Computerpult.
Ich ignorierte ihn, rannte, nein, stolperte weiter zum Ausgang. „Brasilien, Paraìba!“
Irgendwann auf dem Weg nach draußen stellte sich mir mein Vater in den Weg und umklammerte meine Oberarme. „Was ist los, Yves, rede mit mir!“
Ich schüttelte ihn mit einer lapidaren Geste ab. Sollten sie doch ins Verlies gehen und selber nachsehen! Ich musste auf der Stelle nach Brasilien!
„Haltet ihn auf! Die Fernüberwachung dreht grade durch!“, bellte irgendjemand hinter mir. Ich trat ins Freie und strauchelte erneut.
Es war lausig kalt, der Hof lag voller Schnee, nur schmale Fußwege waren geräumt. Auf einem von ihnen näherte ich mich dem Wohnhaus und erreichte mein Zimmer. Tasche packen, ach was, sofort einen Flug buchen!
An den Laptop. Sacrebleu , wieso hatte ich das nicht einfach im Verlies erledigt?!
Egal, ich musste so schnell ich konnte nach Südamerika. Seit über einer Woche war er dort im Krankenhaus, ich hatte sein Haar erkannt. Nur sein Haar.
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