Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
Zähne zusammen. Ich starrte auf die Uhr an der Wand. Begann langsam mit dem Zählen. Löste die Kiefernmuskeln, konzentrierte mich auf meinen Atem, den ich angehalten hatte. Es wirkte. Nach ein paar Zügen wurde ich wieder ruhiger. Langes Üben war nötig gewesen, bis ich diese Technik beherrscht hatte.
Ich holte mir eine Tasse aus dem Schrank und schenkte mir Tee ein. Meine Finger umklammerten das heiße Getränk. Ich senkte mit geschlossenen Augen den Kopf über den duftenden Dampf. Mama hatte eine Kräutermischung gemacht, die nach Minze, Kamille und Zitronengras roch. Ich setzte mich nicht, sondern blieb lieber stehen, sodass ich dem Fenster den Rücken zukehren konnte. Ich wollte nicht sehen, wie die Sonne hinter den Hügeln über den Bäumen aufstieg und ihre ersten Strahlen auf den Stall mit den Paddocks schickte.
Ich war so sehr mit dem an nichts Denken beschäftigt, dass ich Mama erst bemerkte, als sie in der Tür stand. Ihre Haare waren zerzaust, ihr schmaler, zarter Körper steckte noch im Schlafanzug, über den sie einen Bademantel gezogen hatte. Ihre Augen waren verquollen und ihr Gesicht zerknittert. Schon gestern, als sie mich vom Flughafen abgeholt hatte, hatte ich ihr angesehen, wie sehr ihre sonst so feste Welt ins Wanken geraten war. Heute Morgen erschreckte sie mich mit ihrem zerbrechlichen Aussehen so sehr, dass ich fast die Tasse fallen ließ. Ich stellte den Becher ab, ging zu ihr und schloss sie in meine Arme. Marianne reicht mir bis zur Schulter, und als ich die Arme um sie schlang, schien es mir, als würde sie darin versinken. Für einen Moment lehnte sie den Kopf an meine Schulter und blieb ganz ruhig, dann schob Marianne mich sanft beiseite. Sie holte ein Taschentuch aus dem Bademantel, putzte sich die Nase und wischte die Tränen weg.
„Jetzt wird mit dem Heulen aufgehört“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir. Sie versuchte ein Lächeln, dass ihr Gesicht zu einer Grimasse machte.
„Von mir aus kannst du ruhig heulen. Papa hat echtes Glück gehabt, dass ihn da draußen jemand gefunden hat.“
„Glück? Ihn da im Krankenhaus zu sehen, an all den Geräten, wie ein Toter.“ Mama brach ab, hantierte mit der Kaffeemaschine. Ich schluckte und spürte eine neue Angst in mir hochkriechen. Mein starker Vater, den ich nie in meinem Leben krank gesehen hatte. Unser Fels in der Brandung, unerbittlich stark, egal, welcher Sturm um ihn toste. Stefan Kamphoven hielt allem stand. Nur nicht seinem eigenen Körper. Der hatte ihn in die Knie gezwungen. Wieder eine Realität, der ich mich stellen musste. Alles war vergänglich, alles änderte sich. Paul, der Nachbar, hatte Papa gesehen, wie er beim Mulchen den Traktor abstellte. Er war rüber gegangen, weil er sowieso noch etwas mit ihm besprechen wollte. Als er beim Traktor ankam, war Papa schneeweiß im Gesicht. Paul hatte sofort mit seinem Handy den Notruf angewählt. Danach schwang er sich auf den Traktor und fuhr zurück auf den Hof. Kurz darauf war bereits der Notarztwagen da gewesen. Nur ein wenig später, und Papa hätte einen Herzinfarkt gehabt. So die Schilderung von Mama, als ich sie zwei Stunden später am Telefon erwischte. Ich weiß nicht, warum ich gerade an diesem Nachmittag das Bedürfnis verspürt hatte, zu Hause anzurufen.
Der Kaffee war fertig, und Mama schenkten sich einen Becher ein mit einem ordentlichen Schuss Milch. Sie setzte sich an den Küchentisch, sodass sie aus dem Fenster blicken konnte. Die Augen waren nach draußen gerichtet, aber sie schienen nichts zusehen. Das kannte ich nur zu gut. Vorsichtig setzte ich mich ihr gegenüber. Ich wollte sie nicht stören, sondern warten, bis sie so weit war. Gestern Abend hatten wir nicht mehr viel miteinander gesprochen. Ich war erst gegen Mitternacht gelandet. Mir steckte ein Tag Arbeit in den Knochen, die hastige Kündigung, die Organisation meiner Heimreise, zwei Telefongespräche mit Mama und ein Rückflug von sechs Stunden. Im Auto war ich dann bereits zum ersten Mal eingeschlafen.
In ihre Augen kehrte Leben zurück, sie starrte in ihren Kaffeebecher. „Wie lange kannst du bleiben?“
„So lange ihr mich braucht.“
„Was ist mit deinem Job?“
„Ich habe gekündigt.“
Mama schaut von dem Becher auf und sah mir direkt in die Augen. Schnell senkte ich den Blick, ich wollte die Frage darin nicht sehen und noch weniger die darin lauernde Hoffnung. Fast einen Monat hatte ich damals gebraucht, nachdem ich in der Nacht-und-Nebel-Aktion abgehauen war, bis ich es
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