DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend
Scrivener achtete darauf, nur an Wochenenden zu schreiben. Es war für ihn, so sagte er sich, eine Entspannung von seiner Arbeit, einer Biographie von Swedenborg, mit der er sich beschäftigte.
Seine Briefe variierten. Einmal schrieb er ernsthaft, einmal amüsant, und er machte es sich zur Gewohnheit, seine unbekannte Korrespondentin als eine Art Pflock zu behandeln, an den er seine Theorien und Launen hängen konnte.
Die Briefe, die er als Antwort erhielt, gaben ausnahmslos ihre Meinung über seine Gefühle und Launen wieder und ließen Scrivener fühlen, daß hier endlich jemand war, der ihn verstand.
Annette Limoges drängte nie ihr eigenes, weniger wichtiges Leben Robert Scriveners Leben auf, und dies machte die Korrespondenz noch ergötzlicher. Es gab keine öden Seiten über den Verkauf von Nylonstrümpfen, keinen Klatsch über Freunde, die Robert Scrivener unmöglich interessieren konnten.
Es schien ganz, als lebte Annette nur, um das aufzubewahren, was Scrivener ihr zu senden beliebte. War es in London vorübergehend kalt, so beschäftigte sie das in Zürich. Sein Lachen über Mittag bedeutete ihr Trost um Mitternacht; seine Gedanken, seine Grillen, seine Gemütszustände waren ihre geistige Nahrung.
Als Robert Scrivener die Einladung, in Genf zwei Vorträge zu halten, annahm, dachte er nicht daran, daß das die Gelegenheit sein könnte, Annette Limoges persönlich kennenzulernen.
Annette – zu der Zeit waren sie schon Annette und Robert – schrieb in großer Begeisterung, das Datum seiner Vorträge in Genf falle wie durch ein Wunder mit ihren eigenen Ferientagen zusammen, und es wäre das einfachste in der Welt, den Zug nach Genf zu nehmen und ihn endlich zu treffen. Sie legte eine Fotografie von sich im Badeanzug bei.
Es begab sich nun, daß Scrivener in ebendieser Woche an der Hochzeit eines Freundes teilnahm, eines Schriftstellers und Witwers, der sich plötzlich entschlossen hatte, sich spät im Leben noch einmal zu verheiraten; Scrivener ging zwar in einer spöttischen Stimmung zur Hochzeit, aber während des Empfangs fand er sich in einer Lage, in der der Spieß umgedreht wurde.
Der Bräutigam mit seiner jungen Braut an der Seite zog ihn, Robert Scrivener, als alten Hagestolz auf. Und Leute standen daneben und lachten.
Als er seinem alten Freund, dessen Bücher er verachtete – sie wurden in lächerlichen Mengen verkauft –, die Hand schüttelte und gratulierte, lächelte der auf ganz überlegene Art, beinahe als ob ihm Scrivener leid täte, und sagte: »Mißgönnst du mir's nicht, wenn ich mit so etwas nach Mallorca auf und davon gehe?« Und er schaute seine Braut an und lachte.
Scrivener verließ den Empfang, bevor er gezwungen war, das Schauspiel zu erdulden, wie sein Zeitgenosse in einem konfettiüberstreuten, mit weißen Bändern geschmückten Wagen kletterte; aber als er in seine Wohnung zurückkehrte, betrachtete er noch einmal Annette Limoges' Fotografie. Er las auch noch einen oder zwei ihrer herzlicheren Briefe und blickte auf den Schnappschuß vom See in Zürich, wo Annette – vielleicht jünger als die Braut seines Freundes – im Badeanzug auf einem Sprungbrett stand.
Er verglich den Schnappschuß mit dem Porträt. Beide waren gleich anziehend. Kühn nahm er seine Feder auf und schrieb auf der Stelle an Annette Limoges. Er schlug vor, sie solle nach Genf kommen, um ihn zu treffen, und er würde für die nötige Unterkunft sorgen.
Als die Zeit für die Begegnung näher rückte, spürte Robert Scrivener eine steigende Erregtheit. Er fühlte sich zehn, zwanzig Jahre jünger, und es war ihm beinahe unmöglich, sich auf die Notizen für die bevorstehenden Vorträge zu konzentrieren.
Die Integrität des Schriftstellers, die Perfektion des geschriebenen Wortes rückten auf den zweiten Platz, wenn er an die zwei ineinandergehenden Zimmer im Hotel »Mirabelle« in Genf dachte – er hatte vorsichtigerweise die Zimmerreservationen selber gemacht –, und an diesem letzten Abend vor der Abreise erlaubte er sich den Luxus, sich die erste Begegnung vorzustellen: Annette, die ihm strahlend und ein wenig scheu über einen gedeckten Tisch hinweg auf einer Terrasse zulächelte. Er hatte nicht vergessen, für ihr Zimmer Blumen zu bestellen.
Der Vortrag war erst am folgenden Abend, und mit dem Schweizer Literaten, der die Vorträge organisierte, war er am gleichen Tag zum Mittagessen verabredet. So konnte er also den ersten Abend ganz für Annette reservieren.
Der Brief, der Judiths
Weitere Kostenlose Bücher