Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
freizumachen. Er schob eine Bugwelle von Stille vor sich her. Die lärmende Konfusion begann sich zu legen. Er wollte die vielen Gesichter aus seiner Vision entfernen, fand es unmöglich. Jedes dieser starren Gesichter hatte seine besondere Prägung. Ihre Neugierde war gnadenlos. Sie zeigten Trauer und Ergriffenheit, ja, aber nur zu gut verstand er die Grausamkeit, die sie durchtränkte. Sie sahen den Beredsamen stumm und den Weisen zum Dummkopf werden. Hatte die Grausamkeit nicht schon immer Gefallen am Clown gefunden?
Dies war mehr als eine Totenwache, weniger als ein Wachen.
Paul fühlte seine Seele um Frist betteln, aber die Vision drängte ihn weiter. Noch ein wenig, sagte er sich, noch ein kleines Stück. Dahinter erwartete ihn schwarze, visionslose Dunkelheit, der Ort, wo der Mond fiel.
Er stolperte in den Raum, wäre gefallen, hätte Idaho nicht seinen Arm gepackt.
»Hier ist der Ort«, sagte Tandis.
»Geben Sie acht, Herr«, sagte Idaho. Ein Vorhang streifte Pauls Gesicht, und Idaho hielt ihn zurück. Paul fühlte den Raum, ein Reflex an Wangen und Ohren. Es war eine aus gewachsenem Fels gehauene Kammer, deren rohe Wände hinter Behängen verborgen waren.
»Wo ist Chani?« flüsterte Paul.
Harahs Stimme antwortete: »Sie ist hier, Usul.«
Paul seufzte. Er hatte befürchtet, daß ihr Körper bereits zu den Destillieranlagen geschafft worden sei, wo der Stamm die Körperflüssigkeit seiner Toten wiedergewann. War das der Weg, den die Vision nahm? Er fühlte sich hilflos in seiner Blindheit. Und verlassen.
»Die Kinder?« fragte Paul.
»Sie sind auch hier, Herr«, sagte Idaho.
»Du hast schöne Zwillinge, Usul«, sagte Harah, »einen Jungen und ein Mädchen. Siehst du? Wir haben sie hier in einer Wiege.«
Jemand faßte seinen linken Arm. »Usul?« Es war Harah. Zwei Kinder, dachte Paul verwundert. Die Vision hatte nur eine Tochter enthalten. Er machte sich frei von Idahos Arm und ließ sich von Harah an die Wiege leiten. Seine Hände befühlten die Umrisse. Harah nahm sanft seine linke Hand und führte sie in die Wiege. Seine Finger fühlten weiche Haut. Es war so warm! Er fühlte die kleinen Leiber, ihr Atmen.
»Dieses ist dein Sohn«, wisperte Harah. Sie bewegte seine Hand weiter. »Und dies ist deine Tochter.« Ihre Hand drückte die seine ein wenig fester. »Usul, bist du jetzt wirklich blind?« flüsterte sie wieder.
Er wußte, was sie dachte: Die Blinden müssen in der Wüste ausgesetzt werden. Die meisten Stämme waren seßhaft geworden, aber der alte Brauch lebte weiter: Nomaden konnten es sich nicht leisten, totes Gewicht herumzuschleppen.
»Führe mich zu Chani«, sagte Paul, ohne ihre Frage zu beantworten.
Harah drehte ihn um und führte ihn nach links.
Paul erkannte nun, daß er Chanis Tod als Tatsache akzeptierte. Er hatte seinen Platz in einem Universum eingenommen, das er so nicht gewollt hatte. Er trug einen Körper, der ihm nicht mehr paßte. Jeder Atemzug verlängerte seine Qual. Zwei Kinder! Er fragte sich, ob er einen Punkt erreicht habe, wo seine Vision niemals zurückkehren würde. Es erschien ihm unwichtig.
»Wo ist mein Bruder?«
Es war Alias Stimme, und sie war hinter ihm. Er hörte sie näherstürzen. Sie riß seinen Arm aus Harahs Hand und zog ihn halb herum.
»Ich muß mit dir sprechen!« zischte sie.
»In einem Moment«, sagte er abweisend.
»Jetzt! Es ist wegen Lichna.«
»Ich weiß«, sagte Paul. »In einem Moment.«
»Du hast keinen Moment Zeit mehr!«
»Ich habe viele Momente.«
»Aber Chani nicht!«
»Sei still!« befahl er. »Chani ist tot.« Er legte eine Hand auf ihren Mund, als sie protestieren wollte. »Ich befehle dir zu schweigen!« Er fühlte ihr Nachgeben und nahm seine Hand von ihrem Mund. »Beschreibe, was du siehst«, sagte er.
»Paul!« Enttäuschung und Tränen waren in ihrer Stimme.
»Es ist schon gut«, sagte er leise. Und er zwang sich zu innerer Stille und öffnete die Augen seiner Vision zu diesem Moment. Ja – es war noch immer da. Chani lag unter hellen Lampen auf einem Feldbett. Jemand hatte sie in ihr weißes Gewand gekleidet, um das Blut der Geburt zu verbergen. Es war nicht wichtig, er konnte sein Bewußtsein nicht von der Vision ihres Gesichts abwenden. In ihren toten Zügen spiegelte sich die Ewigkeit.
Er drehte sich um, aber die Vision bewegte sich mit ihm. Sie war nicht mehr. Sie war gegangen, um niemals zurückzukehren. Die Luft, das Universum, alles leer – überall Leere. War dies die Essenz seiner Strafe? Er
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