Dune - Frühe Chroniken 03 - Das Haus Corrino
setzte Prana-Bindu-Techniken ein, um ihre Gedanken zu stimulieren. Sie stieß einen langsamen Atemzug aus, der in der kühlen Luft zu einem kaum sichtbaren Nebel kondensierte.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie erzitterte und beeinflusste ihren Metabolismus, bis sie die Kälte nicht mehr spürte. Vier schmucklose Leuchtgloben nahe der Decke wurden dunkler und wieder heller, als würde unsichtbare Energie durch den Raum fließen. Sie schloss die Augen.
Das Zimmer roch immer noch nach Lobia. Und ihre geistige Energie war ebenfalls noch vorhanden.
Anirul nahm eine unscheinbar aussehende Schreibfeder aus einem Tintenfass auf dem Tisch. Sie hielt sie fest zwischen beiden Händen und besann sich. Lobia hatte diese Feder häufig benutzt, wenn sie codierte Botschaften an die Mütterschule geschickt hatte, wo sie jahrelang als Ausbilderin tätig gewesen war. Darauf befanden sich die Fingerabdrücke der alten Frau sowie abgestorbene Hautzellen und Körperöle.
Die Schreibfeder war jedoch zu primitiv, um damit etwas im holographischen Tagebuch zu notieren. Stattdessen rief Anirul einen Sensorschreiber auf und hielt ihn über die immateriellen Seiten.
In der nächtlichen Stille, an diesem Ort, wo Lobia einen großen Teil ihres Lebens verbracht hatte, wollte Anirul über ihre Freundschaft zur bemerkenswerten Wahrsagerin schreiben und die Weisheit dokumentieren, die sie von ihr gelernt hatte. Mit schnellen Strichen notierte sie ein codiertes Datum auf der papierlosen Seite.
Dann hielt ihre Hand inne. Ihre aufgewühlten Gedanken trübten sich und blockierten den Fluss der Worte, die sie hatte schreiben wollen. Sie kam sich wie ein Kind in der Mütterschule vor, das eine schwierige Aufgabe bekommen hatte, aber sich nicht konzentrieren konnte, weil die Lehrerin sie anstarrte und jede ihrer Bewegungen prüfte.
Die Leuchtgloben wurden erneut schwächer, als ob Schatten vor ihnen vorbeizögen. Doch als Anirul sich abrupt umdrehte, sah sie nichts.
Sie sammelte ihren müden Geist, wandte sich wieder dem Tagebuch zu und begann mit der Arbeit, die sie sich vorgenommen hatte. Sie schaffte nur zwei Sätze, bevor ihre Gedanken erneut wie Glockendrachen im Wind abtrieben.
Ein beinahe lautloses geisterhaftes Flüstern erfüllte die Gemächer.
Anirul konnte sich vorstellen, wie Lobia neben ihr saß, sie an ihrer Weisheit teilhaben ließ, sie beriet. In einem ihrer vielen Gespräche hatte die alte Frau ihr erklärt, wie sie zur Wahrsagerin erwählt worden war, wie sie mit ihrer Fähigkeit über einhundert andere Schwestern übertroffen hatte. Doch im Grunde ihres Herzens hätte Lobia es vorgezogen, an der Mütterschule zu bleiben und sich um die Obstgärten zu kümmern. Für diese Aufgabe war nun die sehr begabte Ehrwürdige Mutter Thora verantwortlich. Ungeachtet ihrer persönlichen Wünsche erfüllte eine Bene Gesserit die Aufgaben, die ihr zugeteilt wurden. Wie zum Beispiel den Imperator zu heiraten.
Lobia hatte trotz ihrer Arbeit immer die Zeit gefunden, den im Palast stationierten Schwestern und sogar Anirul eindringliche Lektionen zu erteilen. Dabei hatte die mürrische Frau mahnend ihren dürren Zeigefinger erhoben und jeden wichtigen Punkt betont. Mit geschlossenen Augen erinnerte sich Anirul an Lobias Lachen, eine Mischung aus Kichern und Schnaufen, das sie in den seltsamsten Momenten von sich gegeben hatte.
Zu Beginn ihrer Beziehung waren die zwei Frauen sich nicht besonders nahe gewesen und hatten sogar leichte Meinungsverschiedenheiten ausgetragen, wie viel Zeit sie mit dem Imperator verbringen durften. Für Anirul war es jedes Mal beunruhigend und frustrierend gewesen, wenn sie ihren Gatten und Lobia im ausgiebigen Privatgespräch beobachtet hatte. Lobia hatte es gespürt und mit einem runzligen Lächeln zu ihr gesagt: »Shaddam liebt die Zügel seiner Macht viel mehr, als er jemals eine Frau lieben könnte. Er interessiert sich nicht für mich, sondern nur für das, was ich ihm zu sagen habe. Der Imperator sieht überall Feinde und will wissen, ob sie ihn anlügen, ob sie planen, ihn zu stürzen, ob sie ihm sein Vermögen oder gar sein Leben rauben wollen.«
Als Anirul ihm im Verlauf der Jahre keinen männlichen Erben gebar, hatte sich Shaddam noch mehr von ihr zurückgezogen. Wahrscheinlich würde er sich ihrer früher oder später entledigen, um sich eine andere Frau zu nehmen, die ihre Pflicht erfüllte und ihm einen Sohn schenkte. Sein Vater Elrood war häufig genug auf diese Weise verfahren.
Doch
Weitere Kostenlose Bücher