Dune-Stories: Träume vom Wüstenplaneten
Ansammlung menschlicher Erzeugnisse. Doch teilweise waren es genau diese Dinge, die ihm hier das Überleben ermöglichten. Es war wirklich seltsam. Sehr viel Tod war in die Erfahrungen eingeflossen, aus denen diese wenigen Gegenstände hervorgegangen waren ... und doch bedeuteten sie Leben. Er dachte darüber nach, einige von ihnen zurückzulassen. Welche würden sich wohl durch ihre Abwesenheit als am tödlichsten erweisen? Die Baradye-Pistole? Er zog sie aus dem Bündel und warf sie beiseite. Die Pistole nicht. Warum sollte er auch ein Muster im Sand hinterlassen, einen sichtbaren Hilferuf?
Seine suchenden Hände stießen auf einen Fetzen Gewürzpapier. Er holte ihn ans Licht und las: Eine offizielle Verlautbarung darüber, was ein Fremkit enthalten musste und in welcher Reihenfolge die Bestandteile zu verpacken waren. Eine offizielle Verlautbarung! Ihm wurde klar, dass er sie unterschrieben haben musste. Ja, da war es: »Auf Anordnung des Muad'dib.« Doch er konnte sich nicht erinnern, so etwas unterschrieben zu haben.
»Es sei die feierliche Pflicht des zuständigen Beamten ...«
Die getragene, wichtigtuerische Regierungssprache machte ihn wütend. Er zerknüllte das Papier und schleuderte es von sich. Was war aus dem alten, pflichtschuldigen Tonfall geworden, fragte er sich, aus der klaren Sprache, mit der man solchen Schwachsinn aussiebte? Irgendwo, an irgendeinem verlorenen Ort, hatte man sie eingemauert, abgeschottet, damit niemand sie zufällig wiederentdeckte. Sein Verstand machte sich nach Mentaten-Art auf die Suche. Muster des Wissens schimmerten in seinem Kopf. So wogt vielleicht das Haar einer Meerjungfrau, dachte er, lockend ... es lockt den bezauberten Jäger in smaragdgrüne Höhlen ...
Unvermittelt schreckte er hoch und zog sich von dem Ruh-Abgrund zurück, der ihn einlud, sich in katatonisches Vergessen zu stürzen. Also, dachte er, die Mentaten-Berechnung war zu dem Ergebnis gelangt, dass er sich in sich selbst zurückziehen sollte. Gründe? Ausreichend. Er hatte sie im selben Moment gesehen, als er geflohen war. Damals schien sich sein Leben über die gesamte Existenzdauer des Universums zu erstrecken. Seine Hellsicht hatte ihm bereits unendlich viele Erfahrungen beschert. Doch das wirkliche Fleisch zog sich zusammen, lag in all seiner Endlichkeit vor ihm und machte aus seiner Smaragdhöhle ein Destillzelt, das nun im Pulsschlag des Windes knatterte. Auf der straffen Zeltoberfläche klang der herangewehte Sand wie das Picken von Vogelschnäbeln.
Paul kroch zum Eingang, öffnete ihn, schlüpfte aus dem Zelt und ließ den Blick über die Wüste schweifen. Er sah die offensichtlichen Vorzeichen eines Sturms: auflodernde Sandböen, keine Vögel, der ätzend trockene Geruch von Staub. Er schloss seinen Destillanzug und versuchte, durch den braunen Dunst zu spähen, der den Horizont verbarg. In der verschwommenen Ferne erhob sich ein Staubwirbel, der Paul verriet, was sich darunter befand. Er rief sich ein Bild des Sturms vor sein inneres Auge, ein riesiger Wurm aus Sand und Staub – zweihundert oder mehr Kilometer walzender, fauchender Gewalt. Er war von weit her gekommen, ohne unterwegs Hindernissen zu begegnen, und hatte dabei stetig an Geschwindigkeit und Kraft zugenommen. Innerhalb einer Stunde konnte er in der offenen Wüste sechshundert Kilometer oder mehr zurücklegen. Wenn Paul hier einfach nur herumstand, würde der Sturm zu ihm kommen, ihm das Fleisch von den Knochen schaben und schließlich seine Knochen zu feinen Splittern zermahlen. Er würde eins werden mit der Wüste. Die Wüste würde ihn erfüllen.
Dann dachte Paul an das hartnäckige Streben des Lebens nach dem Tod. Staunen rührte ihn an. Er kam zu dem Schluss, dass er sich nicht einfach dem Planeten überlassen konnte. Ein Atreides konnte sein Schicksal nicht aus der Hand geben, nicht einmal, wenn er sich des Unvermeidlichen voll und ganz bewusst war.
Paul erkannte, dass ihm nicht die Zeit blieb, das Zelt zu retten. Er griff hinein, nahm das Fremkit, verschloss es und ließ es von seinem Arm baumeln, während er über den Felskamm zur windabgewandten Seite kletterte. Zum Überleben brauchte er eine Nische, die ihm Schutz vor dem Sturm bot, doch auf dieser Seite war die Felswand fugenlos. Ein früherer Sturm hatte die Oberfläche zu einer glatten Wölbung abgeschliffen, über die er sich in den Sand hinabrutschen ließ. Doch die Fremen hatten noch andere Möglichkeiten. Er entschied sich für eine Düne und rannte darauf zu.
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