Dungirri 01 - Schwarze Dornen
problematisch, und jetzt … jetzt haben sie Angst, und das könnte ich nicht auch noch ertragen. Bei Jeanie ist das etwas anderes, bei dir auch. Bei euch beiden muss ich nicht … höflich bleiben.«
Ihr kurzes, tapferes Lächeln fuhr wie ein Dolch in Isabelles Herz. »Natürlich musst du das nicht.« Unbeschwert hatte es klingen sollen, doch die Gefühle versperrten ihr die Kehle, und die Wörter kamen brüchig und abgehackt heraus.
Noch einmal wischte Beth sich über die Augen. »Wollte ich nicht eigentlich etwas zu trinken holen? Ich habe Kekse gebacken - die nehmen wir auch mit.«
Sie lenkte sich ab, indem sie ein Tablett suchte, kalten Saft einschenkte und die noch warmen Kekse vom Backblech auf einen Teller gleiten ließ.
Der köstliche Duft des Gebäcks weckte Isabelles Magen und erinnerte sie daran, dass sie kein Mittagessen hatte - genau genommen hatte sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Kein Wunder, dass noch immer Kopfschmerzen hinter ihren Schläfen pochten.
Sie trug das Tablett mit den Gläsern ins Wohnzimmer, Beth folgte ihr mit den Keksen. Alec sah ihr in die Augen, als sie den Raum betrat, sein angespanntes Gesicht von Sorge gezeichnet. Sorge um Beth? Um sie? Rasch wandte sie den Blick ab, damit er die Spuren der Tränen nicht entdeckte. Sie konnte damit umgehen, verdammt noch mal. Es war völlig überflüssig, dass Alec sie mit diesem Ausdruck ansah und sich Sorgen um sie machte. Beth und Ryan, die waren auf ihn angewiesen, nicht sie.
Das Kind auf dem Sofa erwachte und sah sich scheu um, ohne den Daumen aus dem Mund zu nehmen. Beim Anblick der Fremden fingen seine Lippen an zu beben, und Beth setzte sich rasch zu ihm, hob es in einer tröstenden Umarmung auf den Schoß.
Isabelle teilte die Saftgläser aus - an Beth, an Ryan, an Alec. Sie richtete den Blick auf das Tablett, nicht auf sein Gesicht, nahm nur die langen, kräftigen Finger wahr, die sich um das Glas schlossen. Zupackende Hände. Sinnliche Hände , flüsterte eine verschüttete, lange vergessene Stimme in ihr.
Unruhig wandte sie sich ab und hätte beinahe das letzte Glas auf dem Tablett umgekippt.
»Reichst du bitte die Kekse herum, Bella?«, bat Beth, die noch immer von ihrer jüngsten Tochter in Beschlag genommen wurde. »Mit Schokosplittern - die mag Tanya am liebsten«, setzte sie mit zitternder Stimme hinzu, und wieder kullerte eine Träne.
Isabelle biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte, aber sie nahm den Teller vom Couchtisch und reichte ihn herum, den Blick starr auf die Kekse gerichtet.
»Dann nehme ich nur einen, Mrs. Wilson, damit genug für Tanya übrig bleiben«, sagte Alec.
Die Freundlichkeit und stille Zuversicht, mit der er von Tanyas Rückkehr sprach, standen in krassem Gegensatz zu der Angst, die in Isabelle tobte. Sie holte tief und langsam Luft und setzte sich zu Beth auf das Sofa.
»Glauben Sie das wirklich - dass Tanya heimkommt?« Bohrend sah Ryan Alec an, und der furchtbare, ungebändigte Schmerz in seinem Gesicht verlangte eine ehrliche Antwort.
Isabelle hörte Beth neben sich scharf einatmen, und sie spürte Finger, die sich eng um ihre schlossen.
Alec sah Ryan fest in die Augen.
»Ich muss es glauben, Ryan. Und ich verspreche Ihnen - Ihnen und Beth -, dass Isabelle und ich alles Menschenmögliche tun werden, um Tanya zu Ihnen zurückzubringen. Wir werden nach ihr suchen, als wäre sie unsere eigene Tochter. Nicht wahr, Isabelle?«
Die Wahl seiner Worte überraschte sie. Dann schaltete ihr Verstand sich wieder ein, und sie interpretierte den Satz so, wie er ihn gemeint haben musste - dass sie beide sich für Tanyas Rettung so einsetzen würden, wie ein Elternteil sich einsetzen würde.
»Ja.« Ohne zu zögern, gab sie Beth und Ryan und auch Tanya dieses Versprechen: Als wäre sie unsere eigene Tochter .
6
D elphi stand auf einer Weide in der Nähe ihres Hauses und beobachtete reglos, wie die beiden über die staubige, ausgedörrte Erde auf sie zu gingen.
Der Eindruck leichter Verschrobenheit, den Alec bei der ersten Begegnung mit Isabelle gehabt hatte, verblasste angesichts ihrer Tante schlagartig. Umringt von Ziegen in allen Größen und Farben glich Delphi O’Connell einer bizarren Kreuzung aus der Bösen Hexe des Westens aus dem Zauberer von Oz und einer Vogelscheuche. Die übergroße, ausgebleichte Jeans hatte sie mit einem Strick um die Hüften gebunden, und unter dem alten, karierten Hemd, das offen im Wind flatterte, sah man ein nicht minder altes,
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