Dungirri 01 - Schwarze Dornen
Willensstärke zusammengerissen, die kaum jemand sonst aufgebracht hätte. Nie hatte sie sich die Angst anmerken lassen, hatte in ihrer Entschlossenheit, Tanya zu finden, keinen Moment gezögert, zurückzukehren und sich dem Albtraum zu stellen. Und ja, er hatte diese Furcht in ihrem Inneren gespürt. Eine Furcht, die sie nur dadurch in den Griff bekam, dass sie jeden außer Finn auf Distanz hielt. Wer könnte ihr das vorwerfen? Und trotz allem war sie hier.
»Sie ist eine sehr tapfere Frau«, sagte er.
Und eine sehr schöne , merkte eine Stimme tief in seinem Inneren an, während ein kleiner Teil in ihm, der nicht Detective Chief Inspector war, bemerkte, wie im Sonnenschein bronzene und goldene Reflexe über ihr üppiges kastanienbraunes Haar tanzten, wie das zarte Baumwollgewebe ihrer Bluse sich an die sanften Kurven der Schultern schmiegte, der Taille, der Brust …
»Sie hat’s dir angetan, was?«
Delphis unverblümte Bemerkung riss ihn in die Wirklichkeit zurück, in der ihn Gewissensbisse empfingen. Isabelles scharfsichtige Tante hatte erkannt, was er offenbar nicht gut genug verborgen hatte - ja, sie hatte es ihm angetan. Bella, die Frau, hatte es ihm angetan, nicht nur die Kollegin. Er hatte schon so lange keine Frau mehr mit diesem Blick angesehen, dass er gar nicht mehr wusste, wie er die Zeichen zu deuten hatte. Mit seinen Kolleginnen ließ er sich auf nichts ein - und wenn er ehrlich war, auch mit keiner anderen Frau. Er vergrub sich völlig in seiner Arbeit und gestattete sich, wenn seine Zeit es überhaupt zuließ, bestenfalls kurze, unverbindliche Beziehungen.
Und daher hatte es auch nicht das Geringste zu bedeuten, dass er Bellas Gesicht selbst mit geschlossenen Augen vor sich sehen konnte, dass allein ihr Anblick seinen Puls seltsame Kapriolen schlagen ließ und dass sein Beschützerinstinkt - und seine Fantasie - seit heute Morgen auf Hochtouren lief. Er würde Isabelle während dieser Ermittlung beschützen, schließlich hatte er sie hergebracht, aber danach würde er nach Sydney zurückkehren, und sie würde ihr Leben wieder aufnehmen, und wahrscheinlich würden sie sich nie wieder begegnen. So würde es laufen.
»Wir sind nur Kollegen, Mrs. O’Connell.«
Sie schnaubte undamenhaft und funkelte ihn böse an. »Ganz klar. Aber eins lass dir gesagt sein, ich bin vielleicht keine Bilderbuchtante, aber wenn du ihr wehtust, werde ich dir mit dem allergrößten Vergnügen eigenhändig die Eier abschneiden und sie an ihren Köter verfüttern.«
Er nahm ihr diese Offenheit nicht übel, vielmehr freute
es ihn, dass Isabelle ihr genug am Herzen lag, um ihn derart in die Schranken zu verweisen. Er lächelte trocken. »Keine Angst, das wird nicht nötig sein. Außerdem bin ich sicher, wenn ich ihm auch nur den geringsten Anlass gebe, wird Finn sich ohne zu zögern selbst bedienen.«
Isabelle sah Delphis Grinsen und fragte sich innerlich aufstöhnend, was ihre Tante im Schilde führte. Doch die Mienen, die sich ihr bei der Rückkehr zuwandten, waren bewusst unschuldig und unergründlich. Irgendetwas war hier vorgegangen, aber sie hatte keinen Schimmer, was.
Noch einmal warf sie einen verstohlenen Blick auf Alec und fragte sich, ob Delphi ihm wohl etwas Unmögliches an den Kopf geworfen hatte. Doch sein Ausdruck ließ keinerlei Rückschlüsse zu und war nur eine ernsthafte professionelle Maske, als er Delphi höflich dankte. Dann machte er sich auf den Weg zum Wagen und ließ sie taktvoll mit ihrer Tante allein.
»Wenn es geht, schau ich noch mal bei dir rein …«
»Konzentrier dich auf die Suche nach der Kleinen«, fiel ihr Delphi ins Wort. »Das ist wichtiger, als eine alte Einsiedlerin wie mich zu besuchen.«
Woran lag es nur, dass der Abschied ihr so schwerfiel? Sie sollte jetzt einfach zum Auto gehen und mit Alec wegfahren. Delphi war nie für Umarmungen und Sentimentalitäten zu haben gewesen, hatte nie eine Schulter angeboten, an der man sich ausweinen konnte. Das Leben hatte Delphis Charakter mit harter Arbeit, Einsamkeit und Enttäuschungen geprägt. Und doch lag unter diesem einsamen, trotzigen Stolz eine, wenn auch nur selten aufblitzende, Zärtlichkeit. Als sie letztes Jahr im Krankenhaus wieder zu sich gekommen war, hatte Delphi neben ihr gesessen
- und ihre schwieligen Hände waren zärtlich wie die Hände einer Mutter gewesen.
Bis Jeanie heute Nachmittag die Bombe hatte platzen lassen, war ihr nie recht klar gewesen, aus welchem Grund Delphi sich von aller Welt fernhielt. Nun
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