Dungirri 01 - Schwarze Dornen
Schädel hämmerte es, und der Druck in ihren Ohren ließ die Welt um sie herum beängstigend schwanken. Mit weichen Knien und revoltierendem Magen glitt sie vom Felsen, taumelte ein paar Schritte weiter und erbrach dann die Kekse und den Saft der Wilsons.
Sie kauerte mit hängendem Kopf am Boden, als plötzlich ein großes, weißes Taschentuch vor ihr auftauchte.
»Ich hab selber eins«, brummte sie, wühlte es aus der Tasche und fuhr sich damit über die Lippen. Der bittere Geschmack im Mund blieb. Sie richtete sich vorsichtig auf und war alles andere als sicher, ob sie in dieser Position würde bleiben können.
Alec stand ein paar Schritte entfernt und beobachtete sie aufmerksam. »Dasselbe hätte ich am liebsten auch getan«, sagte er. »Setzen wir uns einen Moment in den Schatten.«
Er berührte sie nicht und kam auch nicht näher an sie heran, er trat einfach nur in den Schatten eines großen Baums und setzte sich auf den Boden. Sie folgte ihm und war augenblicklich erleichtert, der sengenden Sonne entkommen zu sein und nicht mehr stehen zu müssen. Finn
kam angelaufen, und mit einem warnenden Blick zu Alec zwängte er sich zwischen sie, sein Körper presste sich heiß und doch tröstlich an ihr Bein. Als Schwindelgefühl und Übelkeit sich legten, löste auch das wirre Knäuel in ihrem Kopf sich allmählich in einzelne Gedankenstränge auf.
Alec hatte die Unterarme auf die Knie gelegt und starrte zur nächsten Weide hinüber. Unter der Sonnenbräune war sein Gesicht deutlich fahler geworden. Vielleicht war es nicht reine Höflichkeit, sondern die Wahrheit gewesen, als er sagte, ihm sei ebenfalls speiübel.
»Ich hätte mich so gern geirrt«, sagte sie tonlos und wusste nicht, warum sie ihm das überhaupt erzählte. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir gewünscht habe, dass jemand doch noch einen Beweis dafür findet, dass Dan Chalmers wirklich der Täter war. Irgendetwas, das ich hätte glauben können.«
Er sah sie an. »Auch ich habe mir gewünscht, dass Sie sich irren. Aber das haben Sie nicht. Chalmers war unschuldig, und wir haben es mit einem Serienmörder zu tun - der es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, uns zu beweisen, wie überlegen er uns ist.«
Der Wind wurde böig, Staub wirbelte auf, und auf der nächsten Weide bildete sich eine Windhose. Sie beobachteten den Wirbel, der sich zwanzig Meter in die Höhe schraubte, Erdbrocken, Laub und Zweige mit sich riss und in wildem Tanz über die Erde zog. Es dauerte vielleicht zwanzig Sekunden, dann fiel er in sich zusammen und ließ verstreute Äste auf dem Boden zurück; doch schon bildete sich der nächste und wirbelte über die Weide.
»Wetten, dass es keine identifizierbaren Reifenspuren
gibt?« Es war eine rein rhetorische Frage. Isabelle kannte die Antwort längst.
»Es wird keine geben. Ich glaube, der Entführer hat seine Spuren sehr sorgfältig verwischt. Wir werden auf dem Rucksack und dem Schuh auch keine Fingerabdrücke finden. Sonst hätte er sie gar nicht erst dagelassen.«
»Das heißt also, es gibt keine verwertbaren Spuren, genau wie bei den beiden anderen Entführungen. Wir wissen nur, dass er mich mit einiger Wahrscheinlichkeit kennt.«
»Richtig. Außer Ihnen wäre kaum jemand auf die Idee gekommen, zwischen den Felsen zu suchen. Es könnte Zufall sein, aber das bezweifle ich.«
»Das grenzt es auf rund zweihundertfünfzig Personen ein«, sagte sie bitter. »Und wenn man die umliegenden Farmen und die Leute in Birraga dazunimmt, sind es sogar noch ein paar mehr.«
»Dann werden wir uns die allesamt vornehmen«, entgegnete er, und in seinem Gesicht war grimmige Entschlossenheit zu lesen. »Wir schließen jeden aus, der ein wasserdichtes Alibi hat, und sehen dann, wie viele übrig bleiben. Und wenn wir jeden einzelnen Bewohner dieser verdammten Stadt zum Verdächtigen erklären müssen, dann werden wir das eben tun.«
Gesichter von Menschen, die sie kannte, seit sie sich erinnern konnte, zogen vor ihrem inneren Auge vorüber. Menschen, denen sie einst vertraut hatte und von denen sie nun wusste, dass sie zu blinder und ungehemmter Gewalt fähig waren. Aber wer von ihnen hatte Tanya entführt? Wer war so unmenschlich, dass er dieses vorsätzliche, schreckliche Verbrechen für ein Spiel hielt?
Alec machte sich Sorgen. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass sie sich hier im freien Gelände aufhielt, wo sie ein ideales Ziel für einen Scharfschützen abgab. Bis sie den Schuh gefunden hatten, war es ihm
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