Dunkel ist die Sonne
dessen undeutlich bewußt, aber nur, weil er zufällig eine Sekunde lang hinter sich gesehen hatte. Er war zu sehr damit beschäftigt, Vana und sich selbst vor dem Abrutschen zu bewahren. Glücklicherwe i se waren sie in der Mitte der Straße gewesen, als das B e ben begonnen hatte. Sie waren vornüber gefallen, als sich die Spalte aufgetan hatte, aber irgendwie schafften sie es, auf Händen und Knien zum eigentlichen Boden hinz u kriechen. Es war kein fester Boden; er hüpfte wie die Brust einer laufenden Frau. Aber selbst das bißchen Schutz, den er bot, war besser, als in den Abgrund zu stürzen.
Zur Rechten war ein Donnern zu hören, das das G e polter unter ihnen übertönte. Ein Teil des Berges rutschte auf sie zu, die Erde, die Bäume, die riesigen Felsbrocken.
Er rief Vana zu, daß sie sich beeilen sollte, aber sie konnte ihn kaum gehört haben.
Jum sprang an ihnen vorbei, sein Maul offen, so als heule er. Etwas berührte Deyv am Knöchel. Die Shem i bob war fast am Rande des Abgrunds. Er wußte nicht, wo Aejip, der Yawtl, die Hexe und ihre Tochter waren. Im Moment kümmerten sie ihn auch nicht im geringsten. Er wollte nur eins: sich und seine Partnerin in Sicherheit bringen. Wenn sie hinabgeschleudert würden, wäre es um drei Menschenleben geschehen. Das Baby war vie l leicht sowieso schon tot, da Vana hart nach vorn gefallen war.
Sie waren noch drei Meter vom Straßenrand entfernt, als die Shemibob über den durchhängenden Teil der Straße zurückgerannt kam, um ihnen zu helfen. Die vie r zig Beine bewegten sich rasch; ihr Leib war soweit vo r gestreckt, daß sie auch die Arme als Beine benutzen konnte. Als sie bei ihnen angelangt war, rief sie etwas, was sie nicht verstanden, und packte Vana. Dann richtete sie sich mit ihr auf dem Arm auf, drehte sich um, fiel auf die Seite, richtete sich wieder auf und stürzte mitsamt ihrer Last von dannen.
Deyv kroch schluchzend hinter ihr her. Sie setzte die Frau ab und kam zu ihm zurück. Statt zu versuchen, ihn hochzuheben, streckte sie nur eine Hand aus. Er packte sie, spürte einen Griff so fest wie der des Pflanzenme n schen und wurde hoch über ihren Kopf gehoben, wobei sich ihr Rücken nach hinten bog. Er hatte ein Gefühl, als ob ihm der Arm ausgerenkt würde. Schreiend vor Schmerz fiel er hin und hätte fast Vana auch noch umg e rissen. Der Aufprall schlug ihn halb bewußtlos, und für eine Weile wußte er nicht, wer er war oder was um ihn herum geschah.
Er war sich jedoch bewußt, daß die Shemibob ihn u n ter den einen und Vana unter den anderen Arm klemmte und auf den Dschungel zu – beziehungsweise von dem Berg wegzulaufen begann. Etwas Großes und Schwarzes wälzte sich an ihnen vorüber. Ein Felsbrocken , aber Deyv wurde an ihm vorbeigetragen.
Inzwischen, so erfuhr er später, hatten die Erschütt e rungen aufgehört. Aber die Lawine, die sich den Hang herunterwälzte, ließ den Boden immer noch erzittern. Trotzdem gelang es der Schlangenzentaurin , sich auf den Beinen zu halten – es war schon gut, daß sie so viele d a von besaß – und sie zum Rande des Dschungels hinz u bringen. Bäume lagen kreuz und quer übereinander. Hier und da lagen auch einige kleinere Felsblöcke, die über die Straße gerollt oder gesprungen und in Büschen oder Bäumen gelandet waren. Die Shemibob setzte sie beide hinter einem Felsen ab und wandte sich um, um nach den anderen zu sehen.
Deyv hatte seine Sinne mittlerweile wieder halbwegs beisammen, wünschte sich aber geradezu, daß dem nicht so wäre. Die rechte Schulter und das linke Bein taten ihm sehr weh. Er stöhnte und fragte: „Warum mußte sie mich denn unbedingt werfen?“
Vana sagte mit tonloser Stimme: „Weil sie mußte. Du wärst sonst von einem Stein getroffen worden. Bei dem Aufprall wäre sie fast selbst ins Loch gefallen.“
„Und Aejip und Sloosh?“
„Der Archkerri wäre fast abgestürzt, als der Fels dort auf ihn zukam“, sagte die Shemibob. „Aber das ist zum Glück nicht geschehen; er ist irgendwo in der Nähe. Die anderen sind auch in Sicherheit. Außer, ich bedaure sehr es sagen zu müssen, Phemropit. Jowanarr hat es auch erwischt. Sie hatte es schon fast geschafft, aber die Str a ße hat sich zu weit zur einen Seite hin geneigt. Und da ist sie in den Abgrund gefallen.“
Sie spähte durch den Staub, der sich allmählich zu se t zen begann. Die Lawine hatte sich mittlerweile ausg e tobt. Deyv vernahm ein schwaches Wehklagen, und er fragte: „Wer weint denn da?“
Die Shemibob
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