Dunkel ueber Longmont
verwitwet seid. Niemand wird etwas erfahren.«
»Nein!« platzte Chemoise heraus. »Um meinen Ruf mache ich mir keine Sorgen. Sondern um Euren! Wer wird für Euch schwören, wenn Ihr Euch verlobt? Ich werde es nicht tun können!«
»Viele Frauen am Hof können für Euch einspringen«, log Iome. Wenn sie Chemoise fortschickte, warf das womöglich einen Schatten auf ihren eigenen Ruf. So mancher konnte auf den Gedanken kommen, Iome habe ihre Hofdame fortgeschickt, um eine Unbedachtheit zu verbergen.
Über derlei Dinge wollte Iome sich derzeit nicht den Kopf zerbrechen; wie konnte sie über ihren eigenen Ruf nachdenken, während ihre Freundin sosehr litt?
»Vielleicht, vielleicht könntet Ihr bald heiraten?« schlug Chemoise vor. Mit siebzehn wäre Iome gewiß alt genug. »Der Prinz von Internook will Euch. Und dann habe ich gehört bringt auch König Orden seinen Sohn zum Hostenfest mit…«
Iome schnappte erschrocken nach Luft. Endlich brachte der älteste Freund ihres Vaters seinen Sohn mit nach Heredon.
Iome wußte sehr wohl, was das bedeutete und war schockiert, daß man sie nicht vorgewarnt hatte. »Wann habt Ihr das gehört?«
»Vor zwei Tagen«, antwortete Chemoise. »König Orden hat uns Nachricht gegeben. Euer Vater wollte nicht, daß Ihr davon erfahrt. Er… wollte nicht, daß Ihr Euch aufregt.«
Iome biß sich auf die Lippe. Sie hatte nicht den geringsten Wunsch, mit König Ordens Brut verbunden zu werden hätte niemals auch nur einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt. Jetzt jedoch bat Chemoise sie auf ihre zögernde Art, sich diese Partie zu überlegen.
Wenn Iome Prinz Ordens Antrag annahm, konnte Chemoise ihre Pflicht als Hofdame erfüllen. Solange niemand wußte, daß Chemoise schwanger war, würde ihre eidliche Erklärung zu Iomes Treue nicht angezweifelt werden.
Iome sträubte sich gegen den Gedanken. Es schien ihr ungerecht. Sie würde keiner Ehe zustimmen, nur um ihren Ruf zu retten.
Als der Zorn in ihr aufloderte, erhob sich Iome. »Kommt«, sagte sie. »Wir werden meinen Vater aufsuchen.«
»Warum?« fragte Chemoise.
»Wir werden das diesem Meuchelmörder aus dem Ausland nicht durchgehen lassen! Er wird für seine Untat bezahlen.«
Iome hatte sich nicht überlegt, wie sie vorgehen sollte. Aber im Augenblick war sie wütend auf alle, wütend auf ihren Vater, weil er ihr nichts von dem bevorstehenden Antrag erzählt hatte, und auf Chemoise wegen ihrer peinlichen Unbedachtheit. Außerdem war sie empört darüber, daß Raj Ahten Männer nach Heredon entsenden konnte, um Gardisten zu töten und daß die Kaufleute der Stadt ihren König um Nachsicht bitten durften.
Nun, Iome würde etwas dagegen unternehmen.
Chemoise sah auf. »Bitte, ich muß unbedingt hier bleiben.«
Dann begriff Iome. In einem alten Ammenmärchen hieß es, wenn ein Mann starb, während seine Geliebte mit seinem Kind schwanger ging, konnte die Frau seine Seele in dem noch nicht entwickelten Kind einfangen, damit er wiedergeboren wurde. Chemoise brauchte nur zu bleiben, bis die Sonne über jenem Ort, an dem sie das Kind empfangen hatte, unterging, damit der Geist des Vaters sie fand.
Iome konnte nicht fassen, daß Chemoise einem so alten Märchen Glauben schenkte, wagte aber nicht, dem Mädchen einen solchen Gefallen zu verweigern. Sie unter der Rosenlaube schlafen zu lassen, konnte nichts schaden und führte schlimmstenfalls dazu, daß Chemoise ihr Kind um so mehr liebte.
»Ich werde dafür sorgen, daß Ihr vor Sonnenuntergang zurück seid«, sagte Iome. »Anschließend könnt Ihr noch eine Stunde hierbleiben. Wenn Dreys dann zu Euch kommen kann, wird er es tun. Doch zuerst muß ich mit dem König sprechen.«
Bevor sie mit dem König sprach, wollte Iome mit ihrer Hofdame einen Blick auf Dreys’ Mörder werfen.
Der Gewürzhändler war im Verlies unter dem Bergfried der Soldaten angekettet der einzige Insasse dieses grauenhaften Ortes. Eiserne Fesseln und Käfige hingen von den Steinwänden, und der gesamte Kerker roch nach Tod und alten Zeiten. Riesige Käfer huschten zwischen den Mauern umher. In einer entlegenen Ecke des Verlieses befand sich ein großes Loch, die Oubliette, wo Gefangene aufbewahrt werden konnten. Die Seitenwände des Lochs waren von Urin und Fäkalien verdreckt, denn wer zu diesem entsetzlichen Loch verdammt war, lebte in dem Schmutz, den die Gardisten von oben hineinwarfen.
Dreys’ Mörder war mit Händen und Füßen an einen Pfahl gefesselt. Er war ein junger Mann, vielleicht
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