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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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anderes, das sie stutzen ließ. Er hatte sich sein Haar zurückgestrichen, das ihm bislang immer recht weit in die Stirn gehangen hatte … doch was hatte er da auf der Stirn?
    Gewiss ein Naevus flammeus, dachte Nell und freute sich, dass ihr der richtige Begriff sogleich eingefallen war. Einer von jenen rötlich-violett leuchtenden großen Hautflecken, die man Feuermale nannte und die manche Menschen von Geburt an hatten. Das Mal war allerdings so deutlich konturiert, als hätte jemand einen feinen Haarpinsel in Alizarinkarmesin getaucht und mit äußerster Sorgfalt einen scharf umrissenen Halbmond auf die Haut aufgetragen. Kein Feuermal war je von solch ebenmäßiger Präzision.
    Vielmehr sah es aus wie eine Brandwunde – wie jene beiden Brandmale an Bridies Händen.
    Sie versuchte, ihren Angreifer mit der gusseisernen Pfanne abzuwehren …
    Nells Herz begann wild zu pochen. Laut schlug es ihr gegen Rippen und Korsett wie ein panisch in seinem Käfig umherflatternder Vogel. Das Skalpell zitterte ihr in der Hand.
    â€žDenken Sie über sich selbst hinaus“, flüsterte sie.
    â€žWie bitte?“ Adam kam auf sie zu und strich sich sein Haar wieder sorgsam in die Stirn, schien aber auch weiterhin nicht zu merken, dass sie ihn in dem spiegelnden Glasrahmen sehen konnte.
    â€žOh, das … das war nur ein kleines Gebet.“ Den Rücken noch immer ihm zugewandt, ließ sie das Skalpell in ihren rechten Handschuh gleiten und schob es sich über die Handfläche, bis es unter ihrem Zeigefinger lag. Es schimmerte metallisch durch den schwarz gehäkelten Handschuh hindurch, und ihr Finger stand nun unbeweglich heraus, als wäre er geschient – sie würde aufpassen müssen, wie sie ihre Hände hielt, damit Adam nichts merkte. „Ich bat Gott darum, Will zu helfen.“
    â€žAh ja.“ Adam reichte ihr das Holzkästchen. „Hier. Ich habe das Opium so gut wie möglich herausgekratzt.“
    Sie drehte sich um, nahm es mit der linken Hand entgegen und warf es ins Feuer. Die Reste der Opiumpaste verzischten leise in den Flammen. Schwerer, süßlicher Rauch stieg auf.
    â€žSie wollten doch von mir wissen, wofür ich glaubte, Strafe zu verdienen“, sagte er. „Und ich glaube, dass ich Ihnen noch keine Antwort darauf gegeben habe.“
    Er stand näher bei ihr, als es dem Anstand entsprach.
    Nell wich ein wenig zurück. „Sie meinten, die Gebote des Herrn nicht befolgt zu haben.“
    Mit gerunzelter Stirn schaute er in das Feuer … sah zu, wie die Flammen an dem Kästchen emporzüngelten. „Manchmal ist es nicht leicht, Gottes Wort und seine Gesetze zu deuten – zu verstehen, was man tun soll und was nicht. Die Gebote sagen das eine, die Bibel etwas ganz anderes … Du sollst nicht töten, beispielsweise. Wussten Sie, dass die Gesetze des Alten Testaments geradezu befehlen, gewisse Vergehen mit dem Tode zu bestrafen? Will weiß das. Erst gestern Abend hat er zitiert, was im Deuteronomium, dem fünften Buch Mose, zum Ehebruch geschrieben steht.“
    â€žIch ziehe mit“, murmelte Will vor sich hin – wahrscheinlich, weil er seinen Namen gehört hatte. „Und ich erhöhe um fünfhundert.“
    â€žDeuteronomium, Leviticus, Sprüche …“, fuhr Adam unbeirrt fort. „Dort steht geschrieben, dass Ehebrecher vernichtet werden müssen.“
    Vielleicht lag es nur an dem dämmrigen Licht, doch Nell war es, als ob Adams Augen, die ihr bei ihrer ersten Begegnung so tief und ausdrucksvoll erschienen waren, auf einmal so kalt und leer, so tot und unbeseelt wirkten wie bei einer steinernen Statue.
    â€žUnd genau dort liegt mein Problem“, sagte er. „Die Schriften des Alten Testaments schreiben vor – ja, sie fordern – ein Handeln, das mit Gottes Geboten unvereinbar scheint. Ich kann nicht beide Gesetze befolgen. Ich muss eines auswählen – und das habe ich getan –, aber nur, weil es eine schwer zu treffende Wahl war, enthebt mich das nicht meiner gerechten Strafe dafür, Gottes Wort nicht befolgt zu haben. Verstehen Sie das?“, fragte er sie, als sei es ihm sehr wichtig, dass sie es verstehe.
    â€žÃ„hm, ja. Ja, ich … ich glaube schon.“ Sie trat einen Schritt beiseite, schob langsam das Skalpell in ihrem Handschuh zurecht, spürte ihre verschwitzte Handfläche, während sie sich nervös ihren Rock glatt strich.

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