Dunkel wie der Tod
auf mich immer einen etwas arglosen Eindruck. Ja, ich glaube wirklich, dass er vorhatte, nach Salem zurückzukehren und Bauer zu werden â eines Tages einmal.â
âHat er mit Ihnen jemals über Frauen gesprochen?â, fragte Nell.
Beals lachte stillvergnügt. âWelcher Vierundzwanzigjährige würde wohl nicht über Frauen sprechen? Er war keinesfalls unbedarft, was das anbelangte â hatte einige Freundinnen gehabt â, war aber auch kein Frauenheld. Er schien sie fast zu ⦠verehren. Wenn Sie mich damit fragen wollen, ob er dieses Mädchen gegen ihren Willen verschleppt haben könnte â oder gar noch Schlimmeres â, dann lautet meine Antwort Nein.â
Natürlich würde er das sagen. Ein Anwalt des einfachen Mannes, müssen Sie wissen.
âKönnen wir Ihnen denn noch weiter behilflich sein, Miss Sweeney?â Whitcomb zog seine Taschenuhr hervor und klappte sie auf.
Nell hätte bestimmt auch einen weniger offensichtlichen Wink verstanden. âNein, Sie haben mir beide schon sehr geholfenâ, meinte sie und stand auf, woraufhin die beiden Männer sich gleichfalls erhoben. âEs war sehr nett, Sie kennengelernt zu habenâ, verabschiedete sie sich beim Gefängnisdirektor und dann auch bei Pfarrer Beals.
âIch bringe Sie noch hinausâ, erbot sich der Geistliche und lieà ihr an der Tür des Büros den Vortritt.
âMir imponiert sehr, wie Sie mit diesen Gefangenen umgehen, Pfarrerâ, sagte Nell, als er sie den Gang hinunter begleitete, âwie sie versuchen, auch die Menschen hinter den Verbrechern zu sehen.â
âGottes Gnade allein ist es gedankt, dass dieser Kelch an uns â an Ihnen und an mir â vorüberging.â
Oh nein, dachte Nell und erinnerte sich an die Zeiten, als Gottes Gnade nicht gar so hell in ihrem Leben geschienen hatte wie in den letzten paar Jahren. Sie fragte sich, ob Duncan Pfarrer Beals wohl auch in die weniger erbaulichen Details ihres Lebens eingeweiht hatte. Auf einmal schien ihr, als würde sie splitterfasernackt über den Korridor laufen.
âDiese Gefangenen sind Menschen wie Sie und ich.â Beals lief neben ihr her, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Blick auf den steinernen Boden vor sich gerichtet. Nun fiel ihr auf, dass sein rechtes Bein es war, das seinen Gang ein wenig behinderte â jedoch nicht sehr â, und sie hatte den Eindruck, als sei die leichte Unsicherheit beim Gehen nicht einem kürzlichen Unfall geschuldet, sondern ein altes Leiden, in das der Geistliche sich schon lange hineingefunden hatte.
âEs gibt keine Ungeheuer auf Erdenâ, fuhr er fort, âsondern nur Menschen, deren Seelen in einem unentwickelten Zustand verharren. Das Problem ist meist, wie wir aufwachsen â oder eher nicht aufwachsen. Die meisten dieser Gefangenen hatten keine richtige Familie und bekamen keine religiöse Unterweisung. Viele von ihnen waren StraÃenkinder, die man von frühester Kindheit an hinaus in die Welt geworfen hatte, damit sie sich dort allein durchschlugen â¦â Er sah sie an. âSo wie Duncan.â
Sie blieb stehen. Er auch.
Einen quälend langen Augenblick herrschte Stille. Er schaute sie an, sie hingegen blickte auf den mit Granitsteinen gepflasterten Boden.
âDie Haare meiner Frau waren von derselben Farbe wie die Ihrenâ, sagte er plötzlich.
Schlagartig sah sie auf.
Er blickte beiseite und strich sich mit den Fingern sein Haar in die Stirn â eine leidige Angewohnheit, wie ihr schien. âSicher wussten Sie doch, dass Geistliche der Episkopalkirche heiraten dürfenâ, meinte er.
âIch ⦠ja, ich denke schon, dass ich es wusste.â
âSie ist gestorben. Ein Bootsunfall.â
âDas tut mir sehr leid.â
âEs ist acht Jahre herâ, sagte er, als würde dies die Tragödie abmildern.
âSie muss recht jung gewesen sein â und Sie auch.â
Er nickte, wobei er sich sichtlich in seiner Haut nicht wohlfühlte. âWissen Sie, ich weià einiges über Männer und Frauen â über die Bande, die entstehen können, und darüber, was Liebe zu überwinden vermag ⦠und wie verzehrend sie ist. Ich kenne mich aus mit der Leidenschaft, mit der Einsamkeit ⦠besonders mit der Einsamkeit.â
Ich habe dich sehr vermisst in den letzten acht Jahren. Ich weiss keine schönen Worte wie ich das sagen
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