Dunkelerde: Gesamtausgabe
Mannes wacher wurde. Gleichzeitig damit floh das Fieber und gingen die Schmerzen zurück.
Pet hätte jubeln mögen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, eine solche Macht zu haben, einem Verletzten die Schmerzen zu nehmen, das Fieber, ihm nicht nur einfach zu helfen, sondern ihn innerhalb kürzester Zeit wieder gesund werden zu lassen. Ja, es war faszinierend, aber auch erschreckend zugleich, wobei Pet sich eher mit der Faszination beschäftigte als mit dem Schrecken. Tat er denn nicht etwas Gutes dabei? Warum sollte er dies auch nur eine Sekunde lang bereuen? Wäre es nicht der Traum eines jeglichen Arztes, dies zu können? Und war es nicht einer seiner heimlichen Wünsche, nach dem Abitur - selber Arzt zu werden?
Das, was er hier, auf Dunkelerde, vermochte, würde er im Diesseits niemals mehr vermögen.
Falls es mir jemals gelingt, wieder dorthin zurückzukehren!, wollte sich für einen Augenblick Resignation in ihm breit machen. Doch dann konzentrierte er sich wieder auf den Verletzten, der wenig später die Augen aufschlug und sich darüber wunderte, wieso er rücklings am Boden lag.
Er schaute Pet an - und erinnerte sich. Ein ächzender Laut drang über seine Lippen. Er schien in sich hinein zu lauschen. Dann begann er, seinen Körper abzutasten. Er ertastete die vom Kampf zerrissene Kleidung, das getrocknete Blut - aber keinerlei Verletzungen mehr.
„Ein - ein Wunder!”, murmelte er ehrfürchtig und schaute wieder Pet an. Anscheinend wusste er nicht, ob er jetzt dankbar sein sollte oder ob es besser für ihn sei, Angst vor Pet zu haben.
Pet nickte ihm lächelnd zu: „Nichts zu danken: Gern geschehen!” und richtete sich auf, um sich dem nächsten Verletzten zu widmen.
„Hi, das macht riesig Spaß!”, jubelte seine Freundin.
„Aber es laugt auch ganz schön aus”, gab Pet zu bedenken. „Wir dürfen nicht übertreiben, sonst liegen am Ende wir hier auf den Planken und kämpfen um unser Leben.”
„Übertreiben? Was ist das?”, rief seine Freundin ausgelassen und machte einfach weiter.
Pet beeilte sich, ihr zu helfen.
Nur einmal schielte er zu dem Magier hinüber, der sie aus sicherer Entfernung abschätzig beobachtete. Ja, abschätzig, denn natürlich konnte er in seiner Bösartigkeit nicht begreifen, dass Jule und Pet dies taten: Uneigennützig den Verletzten zu helfen nämlich.
Pet war es egal. Er wollte nur aufpassen, dass ihn die Aktion nicht so sehr schwächte, dass sie dem Magier am Ende ausgeliefert waren, denn darauf schien dieser inbrünstig zu hoffen.
Nein, diesen Gefallen werde ich dir nicht tun, mein Lieber. Nicht einem solchen Oberkack!
*
Die Nacht brach fast herein und Jule und Pet zogen sich total erschöpft in ihre Zelle zurück. Die Ruhe hatten sie sich redlich verdient.
Nur kam kein Schlaf über sie, weil sie dafür viel zu sehr innerlich aufgewühlt waren. Sie hielten die Augen geschlossen und spürten zwar diese Ruhe, die ihren geschundenen Gliedern gut tat, aber sie wussten auch gleichzeitig, was an Bord des Schiffes geschah und darüber hinaus:
Als fahles Oval, einem gewaltigen Auge gleich, stand der Mond bereits am Himmel, obwohl die Sonne sich noch nicht hinter den Horizont begeben hatte. Es war wie einer jener seltsamen Abende, wie es sich auch auf der Erde gab, von der Jule und Pet stammten. Ein leichter Wind fuhr über die Schilffelder, die die Ufer im Deltagebiet des Üruschil säumten.
Es raschelte.
Eigenartige Rufe und Schreie, wohl zumeist tierischer Herkunft, erfüllten die Nacht.
Die unverletzt gebliebenen Männer der SEEWOLF ruderten flussaufwärts. Die geheilten Verletzten hatten für diese Nacht noch eine Art Schonfrist.
Der-Große-Helle befand sich auf dem Vorderdeck, direkt am Bug. In seinem Dialekt brüllte er seine Anweisungen in Richtung des Steuermanns. Der Baschide schien sich tatsächlich gut in den verschiedenen sich oft verzweigenden Seitenarmen des Üruschil auszukennen, wusste, welche Abzweigungen ein Schiff wie die SEEWOLF nehmen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dabei aufzusetzen und stecken zu bleiben. Dämmerung setzte schließlich ein, legte sich wie graue Spinnweben über das Flussdelta.
Auf den von Schilf umsäumten Inseln in der Flussmündung stand das Getreide. Hin und wieder sahen Koschna-Perdoschna Wolfsauge und seine Männer baschidische Bauern bei der Arbeit.
„Der Üruschil ist wie eine Lebensader für dieses Land”, sagte Barasch-Dorm. „Und so ist es schon seit Hunderten von Jahren. Länger noch: Seit
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