Dunkelziffer
die Länge gezogenem Ton: »>Mein Kollege hier wird die Aufnahmen des ganzen Wochenendes durchsehen<...«
»Ich gehe davon aus, dass das ganz im eigenen Interesse des Kollegen ist«, entgegnete Hjelm galant.
»Hm«, schnaubte Äkesson und wandte sich zur Straße um.
»Jetzt sei nicht bockig«, sagte Hjelm. »Dies ist ein Geschenk des Himmels. Nimm es an. Es ist dein Weg aus der Sache heraus.«
Bengt Äkesson betrachtete ihn und sagte ernst: »Manchmal machst du mir Angst, Paul Hjelm.«
Der Computer einer Unschuld, dachte Jorge Chavez. Von wegen.
Es gab zwar nur wenige handfeste Beweise in Emily Flodbergs Computer, dass sie Homepages besucht hatte, die nicht jugendfrei waren, aber es fanden sich Andeutungen. Sie hatte den Ordner mit früheren Besuchen gründlich gelöscht, alle temporären Dateien mit Internetanschluss waren entfernt, und sie hatte ein gut funktionierendes Spurenlöschprogramm.
Normalerweise registriert ein Computer alle Bewegungen im Internet. Aber das Netz bot inzwischen eine Vielzahl von Programmen, die mehr oder weniger effektiv alle Spuren löschen. Nützlich zum Beispiel für Verheiratete, die Pornoseiten besuchten, oder für Angestellte, die während ihrer Arbeitszeit aktives Dating betrieben. Das von Emily benutzte Programm gehörte zur Spitzenklasse in dieser Technologie. Es war nicht möglich, besuchte Homepages aufzuspüren.
Aber es gab einen anderen Weg.
Es begann damit, dass Axel Löfström sich über Chavez' Computer beugte und sagte: »Dieses FailSafe ist verflucht lästig, aber das weißt du ja.«
Jorge Chavez gab seine Schwächen nicht gern zu. In diesem Fall hätte es kein Problem sein müssen, weil sein Gegenüber ein Profi reinsten Wassers war, aber es widerstrebte ihm dennoch zu sagen: »Nein, ich weiß nicht, was FailSafe ist.«
Deshalb tat er es auch nicht, sondern sagte stattdessen: »Ich bin nicht sicher, ob mir sämtliche aktuellen Details des Verfahrens geläufig sind.«
Was den kostenintensiven externen Experten indessen nicht sonderlich beeindruckte, der jetzt zeigte, warum gewisse Ausgaben gut investiertes Geld sind.
Axel Löf ström rettete Jorge Chavez' Tag. Statt einer leeren Mappe mit endgültig gelöschten Homepages offenbarte sich eine andere Methode, die zwar zeitaufwendig, aber effizient Emilys Bewegungen im Netz über einen praktisch unbegrenzten zurückliegenden Zeitraum hervorzauberte. Man musste auf ziemlich komplizierten Wegen über Emilys Internet Provider gehen und eine bizarre Reihe von Daten dechiffrieren.
Sich zu bedanken kam Chavez jedoch nicht in den Sinn. Es gab schließlich Grenzen.
Also war es ihm endlich gelungen, eine Erfolg versprechende Spur zu finden, die nicht unbedingt dafür sprach, dass dies der Computer einer Unschuld war. Eine ganze Reihe von Punkten ließ auf das genaue Gegenteil schließen.
Und da war er jetzt. Genau an der Schwelle dessen, was man vielleicht einen Durchbruch nennen könnte.
Seine Finger ruhten auf der Tastatur. Seit er aufgehört hatte, E-Bass zu spielen, hatte Chavez kein solches Wohlgefühl in den Fingerspitzen mehr verspürt, was vermutlich einiges über seine und Saras Beziehung aussagte. Er saß dort an der Schwelle eines Durchbruchs und ließ für einen Augenblick seine Gedanken nach Ängermanland wandern. Er fragte sich, womit Sara sich in diesem Moment beschäftigte, woran sie dachte, ob er in ihrer Vorstellungswelt überhaupt noch eine Rolle spielte. In letzter Zeit hatte es nicht so gewirkt. Ihre Tochter Isabel war zwei Jahre alt, und ihr Sexualleben war völlig zum Stillstand gekommen. Er versuchte sie zu verstehen, er tat wirklich alles, was in seiner Macht stand, fand er, um zu begreifen, wie Leidenschaft sich so schnell in Überdruss verwandeln kann. Sie hatte zwar keine Kindheit voller Berührungen gehabt wie er selbst, sie war eher urschwedisch aufgewachsen, mit dem emotionalen Krüppel Brynolf als Vater, aber dennoch war es verblüffend, wie sie einen dermaßen raschen Übergang zu vollziehen vermochte, von einer Beziehung, in der man sich ständig berührte, zu einer, in der man jede Form von Kontakt vermied. Wirklich verblüffend, wenn man darüber nachdachte.
Wozu im Moment aber kaum der richtige Zeitpunkt war.
Aber wann war denn der richtige Zeitpunkt? Wann schafft man es, das zu tun, was immer, immer, immer getan werden muss, damit eine Beziehung überleben kann: einander Bestätigung zu geben, darüber zu sprechen, dass man einander noch liebt?
Geben und sprechen, sprechen und
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