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Dunkle Beruehrung

Dunkle Beruehrung

Titel: Dunkle Beruehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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Bordstein, setzte sich und hielt Jessa aufrecht im Schoß. Er schob ihre Hände in sein Hemd, drückte ihr Gesicht an seinen Hals, senkte den Kopf und legte den Mund an ihre Wange.
    »Was tut der Mann da, Mami?«, hörte er eins der Kinder fragen, als die Familie vorbeikam.
    »Er macht mit seiner Frau Pause, Justin.« Die Mutter blickte finster drein und drängte ihre Kinder, schneller zu gehen, während ihr Mann langsamer wurde und genauer hinsah. »Peter, bitte.«
    »Aber ja, Schatz.« Der Mann zwinkerte Matthias grinsend zu und trabte los, um Frau und Kinder einzuholen.
    Matthias wollte Jessa erst in das andere Auto setzen, wenn die Familie weggefahren war. Also hielt er sie umarmt und wartete, bis die Eltern den Nachwuchs in die Kindersitze auf der Rückbank verfrachtet hatten. Er hätte sich Sorgen gemacht, sie so zu berühren, da er damit jede andere Frau gewiss aufgeweckt hätte, aber ein undefinierbares Gefühl sagte ihm, dass Jessa sich ganz in sich zurückgezogen hatte und so bald nicht aufwachen würde.
    Die kurze Verzögerung gab ihm Gelegenheit, Jessa genau zu mustern, und er prägte sich jeden Quadratzentimeter ihres Gesichts ein – vom feinen, schwarzen Haar, dessen Scheitel nicht mittig verlief, sondern oberhalb der linken Braue ansetzte, über ihre sanft geschwungene Nase und die schönen Lippen bis zur prägnanten Linie ihres Unterkiefers. Im Wachzustand waren ihre Züge sicher stets beherrscht, sodass andere ihrer Miene nur so viel entnehmen konnten, wie sie zu verraten gewillt war, doch jetzt wirkte sie weicher, jünger und ganz unberührt von dem Leid, das sie ertragen hatte.
    Er konnte nur raten, wie ihr Leben gewesen war, seit ihre Begabung sie überkommen hatte. Dass sie mit nur einer Berührung in die dunkelsten Abgründe der Seele schauen konnte, war sicher keine Versuchung für sie, sondern dürfte ihr als Fluch erscheinen. Er dachte an die vielen Menschen, die er im Laufe eines Tages streifte. Fremde zu berühren, behagte ihm nicht, aber mancher Hautkontakt war nicht zu vermeiden, wenn man Wechselgeld empfing, Waren entgegennahm oder an einen stark belebten Ort kam. Jessa konnte nicht das ganze Jahr über Handschuhe tragen, ohne dass die Leute sich darüber wunderten; sie konnte sich nicht in ihrem Büro einschließen, um ihren Mitarbeitern oder ihren Kunden aus dem Weg zu gehen.
    »Wie schaffst du das?«, murmelte er. »Umgibst du dich nur mit Unschuldigen oder lässt du deine Umgebung denken, dass du kalt und distanziert bist?«
    Eine Haarsträhne war ihr in den Mundwinkel gerutscht, und er strich sie mit der Fingerspitze weg. Schon das brachte alle Nerven seiner Hand zum Kribbeln – genau wie vorhin, als sie ihre Linke auf seine Rechte gelegt hatte.
    Die Berührung der winzigen, unsichtbaren Härchen ihrer weichen Haut ließ ihn an einen feinen, über Seide gebreiteten Schleier denken. Noch immer staunte er über ihre Blässe, da er inzwischen die gleichförmige Bräune aller amerikanischen Frauen gewohnt war. Eine elfenbeinfarbene Schönheit wie sie sollte eigentlich zu zerbrechlich sein, um all das, was über Flüstern und Atmen hinausging, schadlos zu überstehen.
    Matthias sah die Bremslichter der Familienkutsche beim Ausparken aufleuchten: Die Zeit war gekommen, Jessa in den zweiten Wagen zu setzen. Als er ihr die Hand unter die Knie schob, rutschte ihr Kopf so gegen seinen Arm, dass ihr Gesicht direkt vor seinem war. Er verharrte einen Moment, um ihren warmen Atem auf den Lippen zu spüren. Nie war er einer Frau so nah gewesen, ohne ihr die Beine auseinanderzudrücken und mit seinem Schaft in sie hineinzustoßen. Aufgrund ihrer Begabung konnte Jessa nicht einmal das genießen. Matthias begriff, dass ihre Einsamkeit erzwungen war. Um einen Geliebten zu haben, musste sie Berührung zulassen – und er hatte mit eigenen Augen gesehen, dass sie nur sich selbst erlaubte, sie zu berühren.
    »Jetzt verstehe ich.« Er drückte sie an seine Brust, stand auf und brachte sie zu dem anderen Wagen.
    Er klappte die Lehne des Beifahrersitzes nach hinten und bettete Jessa so, dass sie durch die Fenster des Wagens nicht zu sehen war.
    Während er es ihr bequem machte, blieb sie ganz schlaff, doch Herzschlag und Atmung waren stark und regelmäßig – ins Koma war sie sicher nicht gefallen.
    Er konnte nicht wissen, was sie gesehen hatte, als sie ihn berührte, doch er konnte es erraten. Diesen Moment hatte er tausendfach aufs Neue durchlebt und die Verzweiflung verflucht, die ihn an jenem Tag

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