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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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zehn Jahren. Im Spätsommer«, sagte ich. »August, vielleicht September. Das weiß ich noch, weil wir wussten, dass der Schuppen, in dem wir gewohnt haben, nicht mehr gehen würde, wenn es kälter wurde, wir wussten, wir würden uns was anderes suchen müssen.«
    »Der Unfall auf dem Hausboot, bei dem Cathy umgekommen ist, war am 27. August«, meinte Joesbury. »Was ist aus ihr geworden, aus dieser Tic?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Aber ich weiß, dass sie mich gerettet hat.«
    »Wie das?«
    »Sie hat angefangen, davon zu reden wegzugehen«, sagte ich. »Hat gesagt, es hätte keinen Sinn, noch länger auf der Straße rumzuhängen. Damals war ich schon so abhängig von ihr, dass ich den Gedanken nicht ertragen konnte, wieder allein zu sein.«
    »Und?«
    Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Auch ein Jahrzehnt später war dies immer noch eine Erinnerung, mit der ich mich schwertat. »Also habe ich eines Abends zu viel Stoff genommen«, sagte ich. »Vielleicht war das Zeug auch einfach nur versaut gewesen, ich weiß es nicht. Als ich am nächsten Morgen zu mir kam, war ich im Krankenhaus.«
    »Sie hat Sie hingebracht?«, fragte Joesbury.
    Ich nickte. »Sie hat es geschafft, mich zur Hauptstraße zu bugsieren. Es war mitten in der Nacht, und es gab kein Transportmittel. Ein Telefon konnte sie auch nicht finden. Also hat sie ein Auto geklaut und mich ins Krankenhaus gefahren. Sonst wäre ich draufgegangen.«
    »Und was dann?«
    »Als ich wieder fit genug war, hat sie mich in eine Privatklinik gebracht und denen genug Geld gegeben, dass ich einen Monat dableiben konnte. Ich hatte keine Ahnung, dass sie Geld hatte, aber plötzlich hat sie die dicken Tausender lockergemacht.«
    »Das Haus ihres Großvaters«, meinte Joesbury.
    Ich nickte. »Sie hat gesagt, das wäre meine Chance, mein Leben auf die Reihe zu kriegen, und ich sollte das nicht vermasseln. Dann ist sie gegangen.«
    »Haben Sie sie je wiedergesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich bin in der Klinik geblieben. Es war die Hölle, doch ich hab’s durchgestanden. Das Sozialamt hat es so arrangiert, dass ich in einer Unterkunft wohnen konnte, solange ich clean geblieben bin. Nach ein paar Monaten habe ich einen Job gekriegt. Dann eine eigene Wohnung. Ich bin als Reservistin bei der Royal Air Force angenommen worden und habe gemerkt, dass mir das eigentlich gut gefällt, die Disziplin, die Kameradschaft. Ein paar Jahre später habe ich angefangen, darüber nachzudenken, mich bei der Londoner Polizei zu bewerben. Ich weiß, sie ist ein Monster, aber sie hat mich gerettet.«
    »Okay.« Joesbury beugte sich vor, die Ellenbogen auf den Knien. »Ich nehme Ihnen ab, dass Sie Victoria Llewellyn begegnet sind, als Sie ein Junkie waren, und dass Sie beide eine Weile zusammen rumgezogen sind. Ich kann sogar gerade eben noch akzeptieren, dass Sie sie auf dem Foto nicht wiedererkannt haben. Aber was mir echt Mühe macht, ist, warum sie sich nach so langer Zeit so auf Sie fixiert. Warum zieht sie Sie in ihre kleinen Rachespielchen mit rein? Sie hatten doch nichts mit dem zu tun, was in Cardiff passiert ist.«
    »Nein, aber sie hat gewusst, was mit mir passiert ist, in London«, erwiderte ich. »Das mit all den Freiern, die ich bedienen musste, das mit Rich und den Gruppenvergewaltigungen. Das hat sie wütend gemacht. Sie hat mich immer angefleht, ich soll aufhören, soll schauen, dass ich da rauskomme. Ich war ein Opfer, genau wie sie eins gewesen war.«
    Joesbury lehnte sich in seinem Sessel zurück; eine steile Furche zog sich senkrecht über die Mitte seiner Stirn.
    »Ich habe sie nur ein paar Monate lang gekannt, aber sie war mir wirklich so wichtig wie niemand sonst«, sagte ich. »Wir haben zusammengewohnt, wenn man ein kleines Stück Betonboden mit Pappkartonwänden drum rum ein Zuhause nennen kann. Ich glaube, das, was sie da jetzt macht, diese Rachenummer, die Mütter der Jungen umzubringen – ich glaube, auf irgendeine abgedrehte Weise tut sie das auch für mich.«
    Sekunden verstrichen. Ich atmete mehrmals tief durch, hoffte, dass mein Herzschlag sich verlangsamen würde.
    »Es tut mir leid, dass ich nicht schon vorher etwas gesagt habe«, sagte ich. »Aber ich weiß nicht mal jetzt ganz sicher, ob sie es ist. Und ich hatte so viel zu verlieren.«
    Joesbury stieß einen tiefen Seufzer aus, dann erhob er sich. Er kehrte mir den Rücken zu und zog die Balkontür auf. Im Zimmer war es nicht warm gewesen, doch die Luft, die jetzt hereinkam,

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