Dunkle Gebete
und ihre Familie angelegt. Charlotte Benn war neunundvierzig und seit der Geburt ihres ältesten Kindes nicht mehr berufstätig gewesen. Sie und Nick hatten zwei Söhne, Felix, sechsundzwanzig, und Harry, zweiundzwanzig. Ihre Tochter Madeleine war siebzehn und ging noch auf die St. Joseph’s School.
Dann öffnete ich die Dateien der Westons; ich wusste, dass ich das nicht umgehen konnte. Wie Stenning eben gesagt hatte, war Amanda Weston, die Joesbury und ich im Victoria Park gefunden hatten, schon einmal verheiratet gewesen. Daryl war ihr zweiter Mann, und sie war nach Hampshire gezogen, als sie geheiratet hatten. Vorher hatten sie und ihre Kinder in London gewohnt, nicht weit von der Familie Jones entfernt. Ihre Kinder – Daniel, mittlerweile fünfundzwanzig, und ihre sechzehnjährige Tochter Abigail – waren in die St. Joseph’s School in Chiswick gegangen. Ihr Nachname war damals Briggs gewesen.
Geraldine Jones. Amanda Briggs. Charlotte Benn.
Nebenan im Einsatzraum konzentrierten sie sich inzwischen bestimmt auf die Verbindung zwischen den drei Familien. Tulloch würde anordnen, dass die finanzielle Situation jeder Familie überprüft wurde, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Ehemänner bei irgendeiner zweifelhaften Investition mitgemischt und versucht hatten, einen Rückzieher zu machen, woraufhin die Ehefrauen als Warnung oder zur Strafe umgebracht worden waren. Das würde völlig vergeblich sein.
Sehr bald, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden, würden die Familien selbst darauf kommen, was los war. Sie würden Tulloch und ihrem Team genau erklären, wieso die drei Frauen ermordet worden waren. Sie würden ihr sagen, wer als Nächste auf der Liste stand, wer als Opfer Nummer vier und fünf vorgesehen war. Ein Blinder würde sehen können, wer Geraldine Jones und Amanda Weston und Charlotte Benn umgebracht hatte. Meine Kollegen würden wissen, dass Joesbury von Anfang an recht gehabt hatte.
Sie würden wissen, dass ich die Mörderin war.
53
Ich verließ das Revier zwanzig Minuten später; niemand sah mich gehen. Ehe ich hinausgeschlüpft war, hatte ich alles getan, was ich konnte, was nicht gerade viel gewesen war. Ich hatte auch einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass ich mich nicht besonders gut fühlte und am nächsten Tag freinehmen würde. Das würde mir ein bisschen Zeit verschaffen.
Zu Hause, oben auf meinem Kleiderschrank, liegt ein fertig gepackter Rucksack mit den Sachen, die ich brauchen werde, wenn ich schnell das Weite suchen muss. Die wenigen wichtigen Unterlagen, die ich besitze, sind da drin, und außerdem etwas Geld. Ich habe ein Schließfach bei einer privaten Sicherheitsfirma. Alle paar Jahre wechsele ich das Unternehmen, aber der Inhalt bleibt derselbe. Bargeld. Genug, um sehr schnell von der Bildfläche verschwinden zu können.
Rasch zog ich Jeans, ein warmes Sweatshirt und Sportschuhe an, ehe ich mir eine Jacke schnappte. Ich hatte schon seit einer ganzen Weile nichts mehr gegessen, wollte jedoch nicht die Zeit dafür drangeben. Ich würde mir unterwegs etwas holen.
Ich machte das Licht aus und verließ die Wohnung. Es fing gerade an zu regnen, und nach der Wolkendecke zu urteilen würde es auch eine Zeitlang nicht wieder aufhören. Ganz kurz erwog ich, mein Fahrrad zu nehmen. Damit wäre ich sehr viel schwerer zu verfolgen, aber ich wäre auch einfach nicht schnell genug. Ich hatte vor, in ein paar Stunden in Portsmouth zu sein, den Wagen irgendwo abzustellen und als Fußgänger auf der nächstbesten Fähre nach Frankreich überzusetzen. Einmal auf dem Kontinent, würde ich den TGV in Richtung Süden nehmen. In ein paar Tagen würde es keine Spur mehr von mir geben. Lacey Flint würde aufhören zu existieren.
Als ich die Tür abschloss, fühlte ich Tränen hinter den Lidern brennen. Ich hatte immer gewusst, dass es eines Tages dazu kommen würde; dass ich mich davonmachen, alles zurücklassen würde. Ich hatte nur nicht bedacht, wie weh das tun würde.
Mit Beinen, die sich viel zu schwer anfühlten, stieg ich die Stufen hoch und schloss mein Auto mit der Fernbedienung auf.
»Wo soll’s denn hingehen, Flint?«
Ich hätte wissen müssen, dass es nicht so einfach sein würde.
Langsam drehte ich mich um. Mein Erzfeind hatte widerrechtlich im Halteverbot geparkt. Er zog sich gerade eine Jacke um die Schultern, während sein Blick von meinem Gesicht zu dem Rucksack über meiner linken Schulter
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