Dunkle Gewaesser
Nachdem wir so viel Geld geklaut hatten, kam es darauf auch nicht mehr an.
Inzwischen war es schon fast dunkel, und wir ließen das Zuckerrohrfeld hinter uns, durchquerten das kleine Waldstück und gelangten schließlich zu der wilden Wiese. Dabei nahmen wir einen etwas anderen Weg als vorher, und im Mondlicht wirkte das Gras wie glänzendes Wasser; der Wind rauschte drüber hinweg, als würde jemand eine Papiertüte mit Bonbons schütteln.
Schließlich kamen wir direkt hinter dem Grundstück raus, wo May Lynn gewohnt hatte. Je näher wir kamen, desto deutlicher hörten wir den Fluss und konnten sehen, wie das Haus vom Wind geschüttelt wurde. Cletus war daheim, sein alter Laster parkte in der Auffahrt direkt vor dem Haus. Wenn der Laster nicht da war, hieß das natürlich nicht, dass er nicht daheim war. Manchmal, wenn er betrunken war, fand er seinen Wagen nicht mehr, und dann brachte ihn jemand nach Hause; jedenfalls hatte May Lynn das erzählt, und es gab keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Deshalb hatte ich bei unserem letzten Besuch auch so laut gerufen, um mich zu vergewissern, dass niemand daheim war. Ich hielt Cletus für einen Mann, der erst schießen würde und dann Fragen stellte.
Jinx sah zu dem Klohäuschen, das nicht weit weg war. »Ich muss mal auf die Toilette«, sagte sie.
»Kann das nicht warten?«, wollte Terry wissen.
»Ja, klar, aber bis wir am Boot sind, passiert vielleicht ein Unglück.«
»Dann beeil dich. Wir sind da drüben unter dem Baum.« Terry deutete auf eine große Ulme auf dem Hügel oberhalb des Flusses.
Jinx flitzte zu dem Klohäuschen und schloss die Tür hinter sich.
Terry und ich schlenderten zu der Ulme und setzten uns mit dem Rücken gegen den Stamm. Terry stellte den Beutel mit dem Geld zwischen seine Beine und schaute zu dem Haus rüber und zu dem Laster, der davorstand. »Meinst du, er weiß inzwischen, dass May Lynn tot ist?«
»Keine Ahnung. Aber ich hab auch keine Lust mehr, es ihm zu erzählen. Vor allem seit wir das Geld ausgegraben haben, das sein Sohn geklaut hat. Und jetzt wollen wir auch noch seine Tochter ausgraben. Ich glaub, ich könnt ihm nicht in die Augen blicken.«
»Mir ist das gleichgültig. Mit dem Geld können wir endlich von hier verschwinden.«
»Durch drei geteilt reicht das nicht lange. Es ist ein guter Anfang, aber mehr nicht.«
»Mehr will ich auch nicht. Ein guter Anfang! Ich komme mir vor wie ein Vogel, dem jemand auf dem Schwanz steht. Ich kann nicht fliegen. Mein Stiefvater hat Gerüchte gehört über mich und einen Jungen, der mich besucht hat, bevor er meine Mama geheiratet hat. Diese Gerüchte sind nicht wahr. Aber er glaubt, was die Leute erzählen, und deshalb behandelt er mich schlecht und schimpft mich dauernd aus und tut meiner Mutter weh. Er raubt ihr alle Lebenskraft. Wie kommt er dazu, so eine vorgefasste Meinung von mir zu haben? Und wie kommen die anderen dazu? Wirke ich auf dich wie eine Schwuchtel?«
Darüber musste ich erst mal nachdenken.
»Du glaubst das auch! Sonst hättest du mir längst geantwortet.«
»Na ja, du siehst ziemlich gut aus, und du hast gute Manieren. Und ich seh dich nicht oft mit Mädchen.«
»Du bist ein Mädchen.«
»Aber wir sind Freunde.«
Terry schüttelte den Kopf. »Ich kann nichts dafür, wie ich aussehe, und es gibt viele Leute mit guten Manieren.«
»Nicht da, wo ich herkomme.«
»Das ist der einzige Grund, weshalb du mich für eine Schwuchtel hältst?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. May Lynn. Du hast sie nicht so angeschaut wie die anderen Männer. Nicht mal, als wir nackt in den Fluss gehüpft sind.«
»Du hast sie offenbar angeschaut, sonst würdest du mich nicht fragen, warum ich sie nicht angeschaut habe. Heißt das, dass du Mädchen magst?«
»Unter uns gesagt – manchmal hat sie mir wirklich gefallen. Sie hat wie ein leckerer Eisbecher ausgesehen. Nein, nein, ich mach nur Spaß. Mir steht der Sinn eher nach Männern und einem Leben voller Kummer und Elend.«
»Nicht alle Männer sind so. Ein Mann und eine Frau können verheiratet und trotzdem Freunde sein.«
»Mama und Don sind keine Freunde.«
»Ja, und genau deshalb kommen sie auch nicht miteinander klar.«
»Da hast du schon recht.«
»Als wir damals baden gegangen sind und May Lynn sich nackt ausgezogen hat, hab ich schon hingeschaut. Und wie. Ich hab mir nur nichts anmerken lassen. Weißt du, May Lynn hat ihr gutes Aussehen dazu verwendet, um andere Leute zu manipulieren. Das hat mir nicht gepasst. Ich
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