Dunkle Gewaesser
Arbeit gaben, die sonst niemand machen wollte, wenn sie nicht dringend einen Vierteldollar brauchten, denn das war der übliche Lohn für alles und jedes, vom Grasmähen bis zum Holzhacken, selbst wenn es im Hochsommer einen ganzen Tag dauerte.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Gemeinde von Reverend Joy fing an, nach der Kirche über ihn herzuziehen, und immer weniger Männer schüttelten ihm an der Tür die Hand. Selbst die Kinder rannten an ihm vorbei, als wäre er ein Wespennest, dabei bin ich mir sicher, dass sie eine Sünde nicht von einem Eierkuchen unterscheiden konnten.
Die Frauen standen noch lange vor der Kirche und tratschten,wobei sie wohl dachten, ich würde sie nicht hören, aber ich hab gute Ohren, und neugierig bin ich auch.
Es gab da eine Frau, etwa im gleichen Alter wie Mama, die sah nicht schlecht aus, vielleicht ein wenig wie ein langnasiger Ameisenbär. Sie kniff dauernd die Augen zusammen und lächelte, aber dieses Lächeln erinnerte mich an einen Hund, wenn er überlegt, ob er knurren soll oder nicht. Der meiste Klatsch schien von ihr zu kommen, und ich wusste auch, warum. Sie war es, die, wie Jinx richtig bemerkte, das Brathuhn versalzen hatte; die häufig vorbeikam und lächelte und Essen brachte und dabei nachschaute, ob Mama nicht etwa ihre Unterwäsche über der Tür hängen hatte oder sonst was in der Art. Ganz offensichtlich glaubte sie, dass sie ihre Mitmenschen vor den Verlockungen der Sünde beschützen musste, aber irgendwie war sie auch enttäuscht, dass die Sünde, die sie Mama unterstellte, nicht von ihr selbst begangen wurde, und dass sie nicht war, was sie sich am sehnlichsten wünschte – die Frau des Predigers.
Jedenfalls quasselten sie und die anderen Frauen ununterbrochen, wenn sie in ihren einigermaßen guten Kleidern und auf Hochglanz polierten Schuhen herumstanden, ihre riesigen Kirchenhüte auf dem Kopf. Während ich zuhörte, hätte ich ihr und den anderen Heuchlern am liebsten eine ordentliche Tracht Prügel verpasst.
Eigentlich wollte ich Mama und Reverend Joy davon erzählen, aber dann überlegte ich mir, dass er uns bestimmt fortschicken würde, und wir wären wieder auf dem Fluss und im Königreich der Schlange. Ich dachte an das, was wir vorgehabt hatten, und von Zeit zu Zeit auch an May Lynn, an ihre Asche, und dass sie noch weit weg von Hollywood war. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mich das nicht allzu sehr belastete.
Sogar Terry, der sie noch am ehesten von da wegbringen wollte, hatte sich eingewöhnt. Allerdings nahm er ab und zu den Beutelmit May Lynn, ging zum Floß runter und setzte sich mit ihrer Asche auf dem Schoß an seinen Rand, als würden sie kuscheln. Einmal, als er mich nicht sah, hörte ich sogar, wie er mit ihr redete. Ich hatte mich aufs Floß setzen und die Beine ins Wasser tauchen wollen, aber ich überlegte es mir anders, stapfte wieder die Böschung rauf und ließ ihn allein. Schließlich trieb er irgendwo einen Schmalzkübel auf, wie den, in dem er das Geld aufbewahrte, und tat sie da rein. Wahrscheinlich dachte er, das war sicherer, und außerdem hatte der einen praktischen Henkel.
Nur Jinx wollte weiterfahren, wobei ich nicht weiß, wie viel das mit May Lynns Asche zu tun hatte. So freundlich der Reverend zu uns auch war, Jinx behandelte er immer noch wie einen Fleck auf seiner weißen Weste. Er versuchte nicht mehr, sie zu bekehren, sondern erzählte etwas, von wegen manche Seelen würden eben am Tag des Jüngsten Gerichts im Höllenexpress in den Abgrund fahren, und daran würde sich nichts ändern lassen. Das brachte er hin und wieder zur Sprache, und wenn er es sagte, schaute er Jinx vieldeutig an, und sie machte dann immer »Tuff-Tuff«.
Jedenfalls blieben wir, wo wir waren, denn manchmal, wenn man glücklich ist oder wenigstens einigermaßen zufrieden, schaut man nicht hoch und sieht nicht, was auf einen drauffällt.
14
Immer mehr Zeit verging, auch wenn ich nicht genau weiß, wie viel. Ich hab die Tage nicht gezählt. Wenn wir in der Kirche waren, fiel mir auf, dass auf den Bänken immer weniger Leute saßen. Bald predigte Reverend Joy nur noch vor ein paar vereinzelten Gläubigen und uns, und wir hatten das alles am Küchentisch schon mal gehört und mit ihm daran gefeilt. Aber wir gingen aus Loyalität hin, wie du auch einem kleinen Jungen zuhören würdest, wenn er dir ein Gedicht vorlesen will, das er geschrieben hat, und dir fällt keine Entschuldigung ein, von wegen du musst dringend woandershin.
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