Dunkle Häfen - Band 1
sie sonst immer hatte, wenn ein Fremder sie berührte. Von diesen Männern ging im Moment keine direkte Bedrohung aus.
Bess kam nicht mit ihnen, sie blieb auf dem Schiff. Soweit Ramis das sah, leitete Andrew Thomas, Quartermeister und nach Bess der wichtigste Mann an Bord, das Unternehmen. Es gab eine gewisse Rangordnung an Bord, wie Ramis festgestellt hatte. Ganz oben stand Bess, sie hatte einen Posten, der durchaus nicht üblich für Kapitäne war. Die Fate war ihr Eigentum, das hatte Ramis verblüfft erfahren. Auf vielen anderen Piratenschiffen wählte die Mannschaft ihren Kapitän und setzte ihn auch wieder ab. Die Männer hatten bei allem ein beachtliches Mitspracherecht. Auf der Fate war dagegen klar, dass Bess am Ende die Entscheidungen traf. Das gab ihrem Leben Stabilität, die in Notsituationen überlebenswichtig sein konnte. Bess hatte von ihnen allen die meiste Erfahrung im Führen eines Seeräuberschiffes und das erkannten alle an. Auch Thomas, den man vielleicht das Sprachrohr der Mannschaft nennen konnte. Er war von der Mannschaft gewählt worden und fungierte als Vertrauensmann und Friedensrichter, aber auch als derjenige, der Bestrafungen durchführte. Daneben war er noch so etwas wie ein 1. Offizier, der im Zweifelsfall das Kommando übernahm. Aber selbst er hatte sich Bess zu beugen, auch das war eine Eigenheit dieser Ordnung. Die Fate hatte sogar ihre eigene Piraten verfassung . Jedes Mitglied hatte diese anzuerkennen und sie zu befolgen. Sie regelte besonders das Zusammenleben der Piraten, gestand dem einzelnen seine Rechte zu und machte klar, was erlaubt war und was nicht. Auch Strafen auf Vergehen waren hier aufgelistet, obwohl die Härte der Strafe meistens variierte.
Das alles war in mehreren Artikeln niedergelegt, die jedem neuen Mitglied vorgelesen wurden. Es musste sie dann als Anerkennung unterschreiben. Der Nutzen dieser Sache war beträchtlich: Man überlegte es sich zweimal, ob man den Kameraden erschlagen oder bestehlen sollte.
Ramis war höchst erstaunt gewesen, als ihr diese Gesetze vorgelegt wurden, hier eine fortschrittliche Einstellung dem Zusammenleben gegenüber vorzufinden. Die Männer waren nicht ohne Mitspracherechte und sie erhielten auch einen beträchtlichen Anteil am Gewinn. Es gab im Übrigen noch zahlreiche andere wichtige Posten auf dem Schiff. Bootsmann war der Mann mit den Rattenaugen, Grey, der sie damals in ihre Kajüte gebracht hatte. Er war für die Schiffsausrüstung verantwortlich und dafür, dass die Alltagsarbeit versehen wurde. Daneben gab es einen Segelmeister und einen Geschützmeister. Ersterer war für alles verantwortlich, was mit Segeln zu tun hatte und für die Navigation, letzterer wie sein Titel schon besagte, für die Geschütze. Wie man Ramis versicherte, gab es sogar ein kleines Orchester an Bord, nur hatte Ramis es noch nie gehört. Es sollte für gute Stimmung sorgen. Anscheinend waren im letzten Sturm die Instrumente kaputtgegangen, als Wasser ins Schiff eingedrungen war.
Ramis war nicht begeistert zu hören, dass Thomas den Befehl hatte. Er mochte sie nicht, seine Abneigung, die er von Anfang an verspürt hatte, war eher noch größer geworden. Das Boot erreichte nun das Ufer und der Kiel bohrte sich in den Sand. Die Männer sprangen ins niedrige Wasser und wateten an Land. Als auch Ramis und Edward bis zu den Knien im kalten Wasser standen, zogen sie die Boote an Land. Beinahe ehrfürchtig setzte Ramis ihre Füße an Land. Gierig sog sie den Geruch von Pflanzen und Erde ein, der vom Land herüber wehte. Ihr Fuß scharrte im weichen Sand herum und zeichnete Formen, bis die Männer fertig waren. Zielstrebig stapften die Männer anschließend auf ein kleines Dorf zu, das sich unauffällig zwischen zwei dürre Nadelwäldchen schmiegte. Es war wie ausgestorben, kein Mensch war auf den Straßen zu sehen, die Fensterläden und Türen geschlossen. Entweder hier lebte wirklich keiner mehr oder die Einwohner hatten sie bereits kommen sehen. Es war ein ärmliches Fischerdorf, die Häuser baufällig und aus einfachstem Material errichtet, aus Stein und Holz. Geflickte Netze hingen hier und da aufgespannt an den Häuserwänden, einige lagen ordentlich zusammengelegt da.
Thomas baute sich in der Mitte der kleinen Siedlung auf und brüllte:
"Schert euch aus euren verdammten Häusern, ihr erbärmliches Pack, ehe wir eure Häuser abbrennen!"
Eine Weile tat sich nichts und die Piraten wurden zusehends ungeduldiger, aber dann trat öffnete sich eine der
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