Dunkle Häfen - Band 1
um ihr Leben und schlugen sich hastig ins Gebüsch.
Ein paar Stunden vor Trepassey hörte Ramis, wie ein Pirat Bess fragte:
"Können wir nicht doch in Trepassey an Land gehen? Wir brauchen Zerstreuung!"
"Das kommt gar nicht in Frage! Ich habe euch bereits gesagt, warum das nicht geht! Ihr wisst, dass die Royal Navy vermutlich gerade im Hafen liegt. Sie sind kurz vor uns in Bristol aufgebrochen. Hast du nicht zugehört? Ich will nichts riskieren."
Sie blickte den unwilligen Piraten scharf an, der sich daraufhin trollte. Es war wieder einmal eine Demonstration, wie viel Macht Bess über ihre Mannschaft ausübte. Die Männer waren seit Bristol nicht mehr in einer Stadt gewesen, um sich auszutoben. Sie waren deshalb aufmüpfig und aufwieglerisch. Aus Frust taten sie sich ausgiebig an ihren Alkoholrationen gütlich. Es musste für Bess schwierig sein, sie soweit unter Kontrolle zu halten, dass sie sich nicht besinnungslos betranken oder Streit anfingen. In dieser Zeit war es oft nötig, die Piraten an die brutalen Strafen zu erinnern, die auf Bruch der Bordgesetze standen.
Einmal erzählte Bess Ramis eine Geschichte von einem Piratenschiff, das irgendwo im Hinterland in einem kleinen Hafen Halt machte, um wie sie Proviant aufzunehmen. Es waren Fischer und Jäger, die dort lebten. Die Piraten erwarteten keinen Widerstand und wurden völlig überrumpelt, als plötzlich die Einwohner mit provisorischen Waffen ausgerüstet aus ihren Häusern stürzten. Sie waren in der Überzahl und alle Piraten wurden niedergemetzelt.
"Warum erzählst du mir das ?", fragte Ramis.
"Ich will dir damit sagen, dass man überall auf der Hut sein muss. Arme und bedrohte Leute sind zu allem fähig. Wiege dich nur nie in Sicherheit, selbst wenn alles ruhig und übersichtlich scheint. Auch wenn du der Gefahr aus dem Weg gehst, läufst du schon wieder in die nächste."
Ramis dachte an die armen Menschen in dem Fischerdorf und konnte den Zorn derer aus der Geschichte verstehen. Sie wusste, wie sehr es auszehrte und die Kraft erschöpfte, sich etwas aufzubauen, das immer wieder zerstört wurde. Bess hatte recht, es war falsch, sich in irgendeiner Sicherheit zu wiegen, es gab keine.
Gegen Abend kam Trepassey in Sicht.
"Verflucht!" , schrie der Ausguck herunter. "Die Royal Navy liegt im Hafen!"
"Hab ich mir's doch gedacht!" , triumphierte Bess.
Sie wurde aktiv und gab neue Befehle. Die Mannschaft trat an. Bess wählte die Männer aus, die am wenigsten wie Piraten aussahen und schickte sie auf die Prise. Als Prise wurde ein gekapertes Schiff bezeichnet. Bess Plan war recht einfach: Die auffällige, kriegerische Fate musste mit den beiden Frauen draußen auf See bleiben, während sich die ausgewählten Piraten als englische Händler ausgeben, die Prise in den Hafen bringen und verkaufen sollten. Anschließend würden sie mit zwei oder drei Beibooten zurückkommen. Es dauerte eine Weile, bis sie alle Waren, die sie ebenfalls verkaufen wollten, auf die Prise geladen hatten. Man behielt noch einiges, denn an anderen Orten bekam man für bestimmte Waren mehr Geld als hier. Es war immer eine Sache der Nachfrage und hier in Trepassey wohnten nun mal nicht so viele reiche Leute. Ramis war enttäuscht, dass sie nicht mit durfte, sie wollte sich die Stadt ansehen und außerdem mal wieder etwas anderes essen als Schiffszwieback, gepökeltes Fleisch und den ewigen Fisch. Allerdings hatte sie gar kein Geld, denn Bess hatte ihnen wohlweislich den Anteil am letzten Beutezug noch nicht ausgezahlt. Der Kapitän wusste genau, dass die Männer alles wieder ausgaben, sobald sie Land erreichten. Doch in Trepassey durften sie nicht länger als nötig verweilen. Die Royal Navy freute sich über jeden Piraten, den sie aufknüpfen konnte, denn diese waren eine rechte Plage für den Handel.
Edward durfte im Gegensatz zu Ramis mit, einfach, weil er nicht so auffiel wie eine Frau. Jedoch wusste Ramis auch, dass die anderen sie gar nicht dabeihaben wollten. Sie war keine Persönlichkeit, die man leicht mögen konnte. Abends, wenn die Mannschaft gesellig zusammensaß, war sie nicht da oder saß stumm am Rand. Sie trank nicht mit ihnen und ihre Miene verzog sich vor Ekel, wenn sie den penetranten Alkoholgeruch wahrnahm. Sie machte keine Anstalten, sich in die Gemeinschaft einzugliedern und das nahmen ihr die Männer übel. Es störte sie schon genug, dass sie eine Frau war, aber sie war nicht einmal so eine wie Bess, die sie alle achteten. Bei Edward war es anders.
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