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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Er hielt sich zwar ständig bei Ramis auf, aber er hatte das 'gewisse Etwas', das einen Piraten ausmachte. Als Bess ihm sagte, er solle mitgehen, holte er sich erst bei Ramis ihre Erlaubnis ein, was die junge Frau sehr rührte. Eigentlich wollte sie den Jungen nicht auf eine so gefährliche Mission schicken, doch sie erkannte, wie sehr es ihm am Herzen lag und so sagte sie ja.
    So stand Ramis neben Bess, als sich die Prise entfernte. Die Piratin beobachtete alles durch ihr Fernrohr. Die Prise näherte sich unter dem Kommando von Thomas den Schiffen der Royal Navy, die träge im Hafen lagen. Man schenkte dem leicht bewaffneten Handelsschiff kaum Beachtung und es legte ohne Zwischenfälle im Hafen an. Die daran anschließende Warterei war zermürbend. Es wurde dunkel und man konnte nichts mehr sehen. Die Dunkelheit bot der Fate Schutz vor neugierigen Augen. Ramis hing halb über der Reling und schaute müde und benommen zu den Lichtern der Stadt herüber. Sie fühlte sich verlassen und ausgestoßen. Die anderen Piraten standen zusammen und lachten und schwatzten. Ihre Dialekte und verschiedenen Sprachen vermischten sich wie auf einem Markt. Ramis lauschte den Wellen, die gegen die Schiffswand plätscherten. Vom Meer zog allmählich dichter Nebel auf und verschluckte die Geräusche. Die Lichter der Stadt und der klare Sternenhimmel verschwanden. Die Nebelschwaden hatten eine beruhigende Wirkung auf Ramis, sie schienen sie zu umhüllen wie eine weiche Decke. Dicke, undurchdringliche Schwaden, die aussahen wie wehende, weiße Gewänder von Feen... Sie hatte es genossen, darauf zuzurennen und hinein. Die weiße Wand ließ sie widerstandslos hindurch, in das Reich, das dahinter lag... Ramis schreckte abrupt aus ihren dahintreibenden Gedanken auf. Was war das gerade gewesen? Sie war nie in den Nebel gerannt, zumindest nicht in ihrer Erinnerung. Sie versuchte, den Gedankenfetzen wieder aufzunehmen, blieb aber erfolglos damit. Er war wieder in den Tiefen ihres Bewusstseins verschwunden.
    Mit der Zeit wurde Ramis schwermütig und sie machte sich Sorgen um Edward. Er war immer noch nicht zurück. Sie wäre jetzt auch gerne schlafen gegangen, denn ihre Augen schmerzten und sehnten sich nach Schlaf. Sie hatte wieder einen harten Tag voller Arbeit hinter sich. Doch Ramis wollte nicht ganz allein in den kleinen, dunklen Raum gehen, in dem sie schlief. Dort würden nur die Geister und die Erinnerungen sein. In Räumen war die Finsternis so dicht und still, am schlimmsten war es in fensterlosen Zimmern. Im Dunkeln lauerte eine Leere, die alles fraß. Ein Wahnsinniger lebte gewiss in ewiger Dunkelheit, da war sich Ramis sicher. Hier oben war es wenigstens nicht richtig dunkel. Das Weiß des Nebels schimmerte leicht, es war eine tröstliche Dunkelheit, die schützte, ohne zu verletzen. Ramis hielt sich nachdenklich das Amulett vors Gesicht. Die Schnur hatte sich mit der des Ringes verhakt. Selbst jetzt funkelte der Stein, in einem düsteren Rotschwarz. Ramis musste wieder an die alte Frau denken und ihr schauderte dabei. Dieses große Haus, das wie seine Bewohner längst der Vergangenheit, längst einer anderen Zeit angehört hatte. Die Spuren eines schrecklichen Verfalls überall... Auf ihren Armen eine dichte Gänsehaut. Ramis steckte den Ring wieder unter ihr Hemd, wo er an ihrem Herzen ruhte. Dann betrachtete sie ihr Amulett, dessen eingravierte Zeichen nur zu fühlen waren. Ramis kannte jedes einzelnes von ihnen, wusste allerdings nicht, was sie bedeuteten. Keiner ihrer Freunde hatte etwas damit anfangen können. Ihr fiel ein, dass sie Liam hätte fragen können. Er wusste doch so viel, aber sie hatte nie daran gedacht. Inzwischen war es zu spät. Traurig dachte sie an den Iren, der ihnen immer so gerne seine Geschichten erzählt hatte. Er war ein wunderbarer Freund, fast ein Vater für sie gewesen. Sie hatte nicht einmal mehr die Zeit gehabt, ihm Lebewohl zu sagen. Er musste annehmen, dass sie tot waren. So wie alle anderen Frauen aus dem Goldenen Drachen ... Die Bitterkeit stieg in ihr auf wie Galle. Und die Schuld. Sie wollte dagegen ankämpfen, doch es erforderte unmenschliche Kräfte. Der Feind ist in dir.
    Müde ging sie schließlich zu Bett. Trotz ihrer Sorge schlief sie gegen alle Erwartungen ein. Bald versank sie in einem Traum.
    Sie rannte über eine grüne Wiese, umgeben von Hügeln und Wäldern. Die Sonne schien auf sie h erunter. Vor ihr schritt ein hochgewachsener, schlanker Mann dahin, er kehrte ihr den Rücken zu.

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