Dunkle Häfen - Band 1
Der Koch hieß Pedro und war Spanier. Wie die meisten hier betrachtete er sich aber mehr als Pirat als einer Nationalität zugehörig. Inzwischen kannte Ramis so gut wie alle Namen der Mannschaft. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen, was ihre Nationalitäten und ehemaligen Berufe betraf. Ramis hatte anfangs angenommen, die meisten wären desertierte und gepresste Matrosen, doch es waren auch Landarbeiter und Städter, die die Armut vertrieben hatte und die in der Hoffnung auf das große Geld hierhergekommen waren. Alles war besser als die Zustände im Heimatland, wenn man arm war, sagten sie. Die meisten von ihnen waren Engländer, doch es gab ebenso Mitglieder aus fast jedem westeuropäischen Land, die hier in erstaunlicher Eintracht lebten, wenn man die Feindschaft der restlichen Welt im Angesicht des Krieges betrachtete. Die Piraten waren eben Piraten und wenn sie jemandem die Treue hielten, dann Ihresgleichen.
Als Ramis und Edward in aller Frühe zu einer Extraübungsstunde antraten, windete es bedenklich. Auch Bess schien besorgt, denn sie sagte das Training ab und sorgte dafür, dass auch der letzte Matrose geweckt wurde.
"Es liegt ein Sturm in der L uft", teilte sie ihnen mit, als die Mannschaft vollzählig an Deck stand.
Die erfahrenen Seemänner schauten zum Himmel und nickten ahnungsvoll. Ihre Aussagen sollten sich bald bewahrheiten. Am Nachmittag flaute der Wind ab und es wurde ganz still. Am Horizont türmten sich gewaltige schwarze Wolken auf, die aus dem Nichts zu kommen schienen. Und weit und breit kein schützendes Land, sie befanden sich mitten auf dem Ozean.
"D as gibt ein gewaltiges Unwetter", meinte Grey, der Rattenmann, wie Ramis ihn heimlich nannte. "Hoffentlich zieht es vorüber."
Keiner wollte sich dessen zu sicher sein und sie holten die Segel ein. Jeder lose Gegenstand, der an Deck ohnehin nichts zu suchen hatte, wurde befestigt oder unter Deck gebracht. Es herrschte eine fieberhafte Unruhe. Jeder, der schon einen Sturm miterlebt hatte, kannte die Hilflosigkeit, mit der man dieser Naturgewalt gegenüber stand. Das Meer, das die Schiffe sonst so freu ndlich von einem Ort zum anderen brachte, verwandelte sich plötzlich in einen übermächtigen Feind, dem man nichts entgegenzusetzen hatte. Seine glänzende Fläche wurde zu Bergen von Wellen, das Schiff zu einem bloßen Spielball. Bis zu diesem Tag hatte Ramis keine Vorstellung gehabt, was das in Wirklichkeit bedeutete. Das Gefühl, das in diesen Stunden über dem Schiff lag, entzog sich jeder Beschreibung. Es war eine Ahnung von etwas Gefährlichem und das plötzliche Bewusstsein, klein zu sein. Und hilflos , denn sie konnten nur warten. Ramis hasste die Empfindung noch mehr als ihre Angst vor dem Sturm. Gar nichts tun zu können, zermürbte sie mehr als alles andere.
Die unheimlichen Wolken kamen schnell näher, ständig veränderten sie ihre Gestalt wie ein finsterer Dämon. Blitze zuckten in der Ferne, Donner grollte leise. Mit den Wolken kam der Wind zurück. Am Anfang war er kaum spürbar, doch er nahm beständig an Stärke zu. Nie hatte Ramis die Bedeutung der Redewendung 'die Ruhe vor dem Sturm' so vollkommen verstanden. Es war ganz still, selbst die Piraten waren verstummt. Dieses Unwetter konnte ohne weiteres ihr letztes sein, die Wahrscheinlichkeit, mitsamt der Fate in den Tiefen des Ozeans zu verschwinden, war sehr hoch. Ramis Hände waren klebrig und Edward ging es ebenso, er hatte seine Hand in ihre gelegt. Und dann brach das Unwetter über sie herein. Es war düster geworden und eine heftige Windböe raste über Deck. Plötzlich musste man sich gegen den Wind stemmen und die Kleidung flatterte wild. Ein greller Blitz erleuchtete den Himmel, einen Augenblick darauf krachte ein Donner ohrenbetäubend. Sekunden später öffnete der Himmel alle Schleusen und wahre Sturzbäche klatschten auf sie nieder. Die See verwandelte sich in einen brodelnden Hexenkessel, die Wellen peitschten immer höher. Ramis war innerhalb kurzer Zeit völlig durchweicht. Sie beschloss, Edward nach unten zu bringen, denn es wurde lebensgefährlich hier oben. Sie schob Edward hastig die Luke hinunter. Einige der Seemänner folgten, weil ihnen klar war, dass sie oben nicht gebraucht wurden, denn es gab nichts mehr zu tun. Unten war es dunkel, muffig und bis jetzt trocken. Der Geruch von nasser Kleidung breitete sich rasch aus. Es war trügerisch ruhig, aber dieser Anschein von Sicherheit war nur ein Gebilde aus Rauch. Das Schiff schaukelte wild
Weitere Kostenlose Bücher