Dunkle Häfen - Band 1
Ersatzstücke heraus und schlüpfte rasch hinein. Zusammen mit Edward rannte sie nach oben. Ein strahlend blauer Himmel empfing sie, jedes Wölkchen hatte sich verzogen. Das Meer bebte noch ein wenig unruhig und hatte eine grüne Farbe, mit Schaum durchmischt. Abgerissene Algenbüschel schwammen wie Haare hier und da herum. Auf Deck sah es wüst aus. Der Sturm hatte die Segel zerfetzt und ein Teil der Reling fehlte. Die Piraten eilten emsig an Deck herum und versuchten, den Schaden zu begrenzen. Die Fate war nicht mehr imstande, noch groß zu fahren, sie dümpelte auf den Wellen dahin. Bess stand auf dem Quarterdeck und hielt Ausschau nach einer Insel, wo sie ihr Schiff reparieren konnten. Neben ihr standen der Koordinator und Thomas. Sie hatten sie noch nicht entdeckt, das merkte Ramis, als sie hörte, worüber sie sprachen. Unwillkürlich hielt sie inne und lauschte.
"Trotzdem war es ein Fehler, Thomas!" , widersprach Bess gerade. "Wie leicht hätte sie sterben können! Du weißt, dass sie keine Erfahrung damit hat!"
"Ihr solltet sie nicht so in Schutz nehmen, Käpt'n! Jeder hier riskiert sein Leben. Und hätten wir untergehen sollen? Was wäre, wenn das Segel sich losgerissen hätte?" , erwiderte Thomas mit dunkler Stimme.
Ramis wurde augenblicklich klar, um wen es ging. Um sie !
"Die Mannschaft könnte meinen, dass Ihr sie bevorzugt. Weil sie eine Frau ist. Das ruft Unmut hervor. Sie murren ohnehin schon. Bald wird man über uns spotten. Das Weiberschiff! Ihr wollt sie doch sicher nicht anders behandeln als uns?"
In seiner Stimme war eine warnende Schärfe.
Bess setzte das Fernglas ab und blickte ihm in die Augen.
"Ich weiß wohl, wie ihr sie behandelt, du vor allen anderen. Glaub nicht, mir vorschreiben zu können, was ich tun und lassen soll! Sonst forderst du mich heraus! Willst du das? Ich würde nicht ablehnen, denn ich halte mich an unsere Gesetze."
Bei den Piraten war es Sitte, Streitigkeiten in Form eines Zweikampfes an Land auszutragen. Das schrieb der Ehrenkodex vor. Angesehene Persönlichkeiten mussten die Herausforderung annehmen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. Doch Thomas ging nicht soweit.
"Man könnte meinen..." , begann er.
"Man könnte meinen ", unterbrach Bess ihn, "dass du sie mit voller Absicht dort hochgenommen hast. Dass du sie töten wolltest !"
Ramis zuckte heftig zusammen. Dieser Verdacht erwischte sie eiskalt.
Aus der Sicht der Piraten hätte ich dort oben keine Chance gehabt, sie halten mich für viel zu schwach. Er hat dieses Risiko bewusst in Kauf genommen. Und noch mehr? Hätte er es denn ohne meine Hilfe geschafft, das Segel zu befestigen?
Angst stieg in ihr hoch, Angst, die davon kam, dass ihr bewusst wurde, wie dicht sie am Tod vorbeigeschrammt war, doch auch die Angst, weil es noch nicht vorbei war. Der Tag schien auf einmal bedrohlich. Sie hastete wieder unter Deck. Dort machte sie sich ans Arbeiten, um sich nicht zu viele Gedanken zu machen. Sie putzte ihre Kajüte fein säuberlich auf, bis sie sauberer war als jemals zuvor. Von draußen wehte sanft frische Luft herein, doch sie vertrieb nicht den Gestank in ihrem Inneren.
"Man will mich töten!" , flüsterte sie leise vor sich hin.
Sie hatte vergessen, wie das war, den Feind dicht im Nacken. Es gab viele Menschen, die sie aus hauptsäch lich zwei Gründen töten wollten. Doch sie waren alle weit weg gewesen. Jetzt lebte sie direkt neben einem von ihnen. Als sie Tür sich öffnete, schrak sie zusammen, in Erwartung von Thomas, der sein Werk beenden wollte. Es war Edward, erkannte sie erleichtert.
"Über was haben Bess und Thomas geredet?" , fragte er mit funkelnden Augen. "Du warst verstört. Haben sie über dich gesprochen? Tante, will Thomas dir etwas tun?"
Er war wütend, das sah sie. Ohne Weiteres wäre er imstande, den Versuch zu machen, Thomas hinterrücks zu meucheln. Töten oder getötet werden.
"M anchmal ist es nicht so einfach", sagte sie mehr zu sich selbst. "Ja, ich denke schon, Edward, aber er wird es nicht in aller Öffentlichkeit tun. Das wagt er nicht, denn Bess hat schon Verdacht geschöpft. Es soll wie ein Unfall aussehen. Ich muss nur bei den anderen bleiben, ihm keine Gelegenheit geben. Aber reg dich nicht auf, es nützt nichts. Vielleicht machen wir uns auch umsonst verrückt."
Sie strich ihm beruhigend über die Wange.
"Wir legen gerade an einer Insel an", teilte er ihr mit, als ein kleiner Ruck durch das Schiff ging.
"Dann lass uns hochgehen."
Auf dem Weg kam Ramis ein Gedanke,
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