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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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sich das Wasser über den Kopf. Als sie ihre Haare ins Wasser tunkte und sah, wie sie dort sanft dahintrieben, dachte sie an ihren Traum mit der Fee in der Quelle. Eine kindliche Unbeschwertheit überkam sie und sie wünschte sich, sie hätte Edward mitgenommen, damit er das mit ihr teilen konnte. Aber er wusch sich ja nicht gern, fiel ihr ein. Schnell wurde es ihr zu kalt im Wasser und sie kam heraus. Die Luft auf ihrer bloßen Haut war ungewohnt und auch erregend. Sie zog sich eilig ihre nassen Kleider an, die sie gleich mit eingetaucht hatte, als hätte sie plötzlich die Furcht gepackt, jemand könnte sie beobachten. Es war nicht mehr als ein dumpfer Impuls, der ihr kaum bewusst wurde.
    Munter kletterte sie auf den Felsen, aus dem die Quelle kam. Von dort hatte sie eine wundervolle Aussicht, das Blätterdach öffnete sich zum Strand hin. Glänzend erstreckte sich das Meer vor ihr. Eine Möwe segelte über den Himmel und sang ihr seltsames Lied, das für Menschen wie ein unmelodisches Kreischen klang. Ramis war sich jedoch sicher, für eine andere Möwe würde es sich wunderschön anhören. Stumm stand sie auf dem Felsen, nahm das Bild des Friedens in sich auf. Dieser Moment gehörte zu den seltenen in ihrem Leben, in denen sie sich im Einklang mit der Umwelt fühlte. Es war wie ein Verharren in der Zeit, die Welt schien sich für eine Weile langsamer zu drehen. Ramis fuhr gedankenverloren die Linien auf ihrer Handfläche nach. Es war ein vertrautes Gefühl, das hatte Martha oft getan. Sie hatte ihre Hand auf ihren Schoß gelegt und war mit dem Zeigefinger den langen Linien darauf gefolgt. Das hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf Ramis gehabt. Anstatt der Fröhlichkeit überkam sie nun wieder Schwermut. Sie dachte an die Menschen, die sie verloren hatte. Wann hatte sie sich zuletzt wirklich an sie erinnert? Tagsüber war sie stets so von ihrer Arbeit eingenommen und ständig beschäftigt, nur nachts in ihren Träumen waren sie oft anwesend und dann vermisste sie sie. Es war schon so lange her, seit sie Martha, Emily und Bonny gesehen hatte und es würde noch viel länger dauern. Unter Umständen würde sie nie erfahren, was weiter mit ihnen geschehen war. Sie wollte die Hoffnung, sie eines Tages wiederzusehen, jedoch nicht aufgeben.
    Wenigstens hatte sie immer noch ihren Edward, ihren kleinen Bruder und zugleich Sohn. Es wäre in Sir Edwards Augen eine Ironie gewesen, dass ausgerechnet sie sich um seinen Sohn kümmerte. Vielleicht war es auch Schicksal, schließlich hatte sie einst ein anderes Kind verloren und hatte nicht geglaubt, wieder eins zu bekommen. Dass es auf einem so merkwürdigen Weg doch geschah, konnte nur Schicksal sein.
    Und dir ist es anscheinend unmöglich, nicht an ihn zu denken.
    Dabei wollte sie noch nicht einmal seinen Namen aussprechen. Sie fluchte lautlos über ihre Dummheit. Offensichtlich konnte sie einfach nicht aufhören, sich immer sinnlos mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich damit selbst zu quälen. Doch sie konnte nicht einfach alles vergessen, nicht wie er gelacht hatte, wenn er sie schlug, wenn er sie zu Dingen zwang, die ihr wieder Übelkeit aufsteigen ließen. Dazu war es zu schlimm. Wie hätte sie jemals den Hass vergessen können, der auch mit seinem Tod nicht zu stillen gewesen war? Seine höhnischen Worte hatten sie verfolgt, wenn sie sich tief in der Nacht in einem abgeschiedenen Eck übergab, wenn sie sich wie verrückt schrubbte, bis ihre Haut zu bluten begann. Selbst als er starb, verhöhnte er sie noch. Dass er in ihren Gedanken war, war sein letzter Sieg, sein ewiger Hohn. Er hatte immer gewusst, wie er sie verletzten konnte, trotz aller Schutzmauern. Schlimmeres hatte er ihr nicht antun können, dachte sie. Doch damit war Schluss, er würde nie wieder kommen.
    Erleichtert entdeckte sie unten am Strand Edward. Sein Anblick riss sie aus ihrer verkrampften Erstarrtheit.
    Er legte die Hände an den Mund und schrie: "Ramis, wo bist du?"
    Er sollte sie doch nicht Ramis nennen. Noch immer konnte es gefährlich sein und sie wollte nicht, dass einer der Piraten ihren richtigen Namen erfuhr.
    Dabei ist das auch nicht dein Name. Du musst einen gehabt haben, ehe du nach London gekommen bist.
    Aber das spielte keine Rolle mehr. Wer auch immer sie einst gewesen war, dieser Mensch war tot, sein Wesen und seine Erinnerungen verlorengegangen. Und jetzt war sie Ramis, das war ihr richtiger Name! Und sie wollte keinem die Macht geben, das zu wissen. Damit begab sie

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