Dunkle Häfen - Band 1
Simpson verloren und ein paar andere sind schwer verwundet. Aufgespießt wie ein Schwein."
Ramis konnte kaum Bedauern empfinden; Simpson war ein mürrischer Kerl gewesen, zuweilen grob in seiner Art und hatte sich nie Mühe gegeben, nett zu Ramis zu sein. Ramis dachte an den Spanier, der sie hatte töten wollen, nur aus Rache und weil sie auf der anderen Seite stand. Wie war die Welt doch schlecht! Sie hatte dem Tod direkt ins Auge geblickt, ihn in Augen voller Triumph gewahrt, die sie mit in den Tod reißen wollten. Nur Edwards Mut war es zu verdanken, dass sie noch lebte, wie so oft hatte der kleine Junge sie gerettet. Sie ging zu Edward, der die Beute inspizierte.
"Was war denn hier los?" , fragte Bess in ihrem Rücken, doch Ramis überließ es anderen, sie aufzuklären.
Edward war immer noch schwarz im Gesicht. Der Rückstoß des Schusses musste ihn beinahe weggeschleudert haben.
"Wieder einmal ha be ich dir alles zu verdanken", begann sie und strich Edward übers Haar. Eine Rußspur blieb auf ihrer Hand zurück. "Ohne dich wäre ich tot."
Edward blickte ihr ernst in die Augen.
"Du weißt, dass das für mich selbstverständlich ist. Du bist meine Tante."
Ramis war gerührt, ihre Augen wurden feucht. Edward klang so erwachsen.
"Mein kleiner Schatz, was würde ich nur ohne dich tun? Wie kann ich es dir danken?"
"Gib mir einen Kuss, Ramis."
Lächelnd beugte Ramis sich vor und drückte einen feuchten Schmatzer auf die rußige Stirn. Als sie sich aufrichtete, spürte sie Augen, die auf sie gerichtet waren. Bess beobachtete sie mit undurchschaubarer Miene. Als sie bemerkte, dass Ramis zu ihr hersah, kam sie zu ihnen.
"Wer hat übrigens den Spanier getötet, der auf dem Deck liegt?"
"Edward ", sagte Ramis an Edwards Stelle stolz. "Der Mann wollte mich töten und das Schiff anzünden."
Bess musterte ihn von oben bis unten.
"Abgesehen davon, dass du einmal was Nützliches getan hast, Junge, woher hast du die Pistole?"
Edward schwieg nur beharrlich. Blitzschnell schoss Bess Hand vor und entwendete ihm die Pistole. Die Piratin hielt sie ins Licht.
"Aha! Du hast sie aus der Waffenkammer geklaut! Unter normalen Umständen sollte ich dich jetzt bestrafen, das ist gang und gäbe bei solchen Vergehen!"
Die Piratenstrafen waren je nach Schwere und nach Laune des Piratengerichtes sehr brutal. Der Katalog ging von Auspeitschungen bis Kielholen in besonders schweren Fällen. Es blieb der Fantasie der Piraten überlassen, was sie in ihre Bordartikel hineinschrieben. Edward starrte nur verbissen weiter vor sich hin.
"Aber obwohl du es für deine Frechheit verdient hast, kleine Rotznase, passiert dir nichts. Nenn es weibliche Nachsicht, wie es all die anderen tun werden. Aber beim nächsten Mal wirst du feststellen, dass es so etwas nicht gibt, klar?"
Sie erwartete erst gar keine Antwort, es wäre auch keine gekommen. Geschäftig stapfte sie von dannen. Ramis blickte ihr böse nach. Die offensichtliche Drohung behagte ihr gar nicht. Immerhin hatte ihr Junge sie alle gerettet! Durch den Vorfall hatte sie jedoch gelernt, wie sinnvoll ihr Kampfunterricht war und von nun an übte sie mit einer neuen Beharrlichkeit.
Die Geldsorgen waren dank ihrer Beute erst einmal verschwunden. Ramis dagegen brauchte eine Weile, um das Geschehene zu verarbeiten, sie versteckte sich in der Kajüte, um nicht sehen zu müssen, wie man die Gefangenen behandelte. Sie konnte all diese qualvollen Schreie Sterbender nicht mehr ertragen. Mit unausweichlicher Sicherheit wusste sie, sie konnte nicht helfen. Und genau diese Hilflosig keit verhärtete wieder ihr Herz, wie es schon oft nötig gewesen war. Es machte das Gefühl der Schuldigkeit vergessen.
Nach einigen Wochen hörte Ramis die Piraten wieder klagen, wie schwarz doch die Zukunft war. Ramis hatte dem prophezeiten Untergang gegenüber zwiespältige Gefühle. Obwohl sie einiges gewohnt war, blieb das Piratenleben hart und auszehrend, doch es war ihre einzige Einkommensquelle. Die Piraterie war grausam, doch es war ihre Zukunft. Sie hatte sich schon zu weit von den Gesetzen entfernt, als dass sie eine normale Existenz hätte anfangen können. Sie müsste immer in Angst leben, der Angst, entdeckt zu werden. Über diese Überlegungen hinaus war es eine der seltenen friedlichen Zeiten, inmitten eines drohenden Krieges. Die Piraten spürten noch nichts davon und ihre derzeit vollen Mägen machten sie zufrieden.
Bess bestellte Ramis in ihre Kajüte. Gewöhnlich wurde dort Rat gehalten, aber
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