Dunkle Häfen - Band 1
Trümmer zurück. Die Fate änderte ihren Kurs und hielt auf den Rauch zu. Nach einiger Zeit hörten sie leisen Kanonendonner, der immer lauter wurde. Der Kampf war noch in vollem Gange. Die Fate drosselte ihre Geschwindigkeit, um wie ein Aasgeier darauf zu warten, dass das Opfer endlich tot war. Durch einen Feldstecher konnten sie die Schiffe erkennen. Es waren alles Kriegsschiffe, ein paar große und ein paar kleine, die zwischen den anderen herum flitzten.
"Wenn mich nicht alles täuscht, sind das Engländer mit ein paar Holländern, die gegen die Franzosen kämpfen", kommentierte Bess. "Sieht mir so aus, als wären die Franzosen ganz knapp in der Minderheit."
Gebannt hi ngen die Piraten an der Reling. Das Donnern von Kanonen war Musik in ihren Ohren. Erwartung glänzte in ihren Gesichtern.
"Käpt'n!" , brüllte der Ausguck. "Da dümpelt einer etwas entfernt von den anderen! Er muss beschädigt sein!"
"Großartig!" Bess frohlockte.
Die Fate nahm wieder Fahrt auf. Es dauerte nicht lange und sie konnten das Schiff mit bloßem Auge erkennen. Ramis konnte sich nicht mit den anderen freuen. Das bleiche, starre Antlitz des Todes schreckte sie noch immer. Oft genug hatte sie die Überraschung in den blicklosen Augen der Toten gesehen, erstarrt bis in alle Ewigkeit. Ihr machte das Töten keinen Spaß und sie konnte es auch nicht gleichgültig hinnehmen. Bisher hatte sie nie an den Kämpfen teilgenommen, doch dieses Mal würde es etwas anderes sein, denn vor einigen Tagen hatte Ramis Bess zum ersten Mal im Schach geschlagen.
Bess hatte daraufhin gemeint: "Es wird Zeit für dich, Ramis. Wenn der Schüler den Lehrer schlägt, ist dieser am Ende. Du bist jetzt soweit, dass du kämpfen kannst."
Ramis hatte da zwar keinen Zusammenhang gesehen, aber sie hatte Fortschritte im Kampfunterricht gemacht und konnte sich nicht weigern. Man war bisher außerordentlich großzügig zu ihr gewesen, das musste sie zugeben.
Ramis konnte die schweren Beschädigungen an dem gegnerischen Schiff sehen. Ein paar Treffer mehr und es wäre gesunken. In ihrer Vorstellung sah sie den Ausdruck lähmenden Entsetzens, als den Gegnern klar wurde, dass sie sterben sollten. Aber nein, es waren Soldaten, ausgebildet zum Töten und Sterben. Hatten sie wirklich keine Angst, sich ins Getümmel zu stürzen mit dem Wissen, jeder Moment könnte der letzte sein? Es war wohl wie bei den Piraten, nur dass diese es zu ihrer ausschließlichen Bereicherung taten. Aber auch die hatten manchmal Angst, das wusste Ramis. Sie selbst fürchtete sich auch. Eine Hand legte sich schwer auf Ramis Schulter.
"Dann wird das dein großer Tag, was?" Bess lächelte. "Hast du an alles gedacht?"
Ramis überzeugte sich noch einmal, dass sie alle Utensilien hatte, die man zum Entern brauchte. Ihr Mund war sehr trocken.
"Warum? Ich meine, warum muss ich da mit?" , fragte sie mit einem letzten Aufbegehren.
Über dieses Thema hatte sie schon eine lange Diskussion hinter sich, die Bess gewonnen hatte.
"Weißt du das nicht schon längst? Du bist Piratin. Wenn du es nicht gewollt hättest, hätte ich dich in irgendeiner Stadt ausgesetzt und du hättest ein anderes Leben beginnen können."
Ramis erbleichte.
"Weshalb sagt Ihr mir das erst jetzt? Ich hätte..."
"Bist du dir sicher?"
Ramis antwortete nicht. Sie dachte an Edward, der ihr angeboten hatte, für sie zu gehen, wenn sie nicht wollte. Sie dachte auch an die Städte, in deren Häfen sie geankert hatten. Sie versuchte sich vorstellen, in den Straßen umherzustreifen, ohne Arbeit und ohne Unterkunft, in einer fremden Welt. Im Grunde genommen wusste sie nicht, was sie gewollt hätte. Doch jetzt war das sowieso nur noch eine obligatorische Frage.
"Ich werde Piratin sein ", erklärte sie schließlich. Auch wenn ein Teil von mir da drüben stirbt.
Edward kam zu ihr, um ihr Glück zu wünschen.
"Du kommst doch wieder, oder?" , fragte er sie, auf einmal unsicher geworden.
"Natürlich, Edward. Vergiss nicht, ich habe dich lieb."
Als sie ihn an sich drückte, wusste sie, es war auch ein Abschied. Falls sie nicht starb, würde sie nachher nich t mehr dieselbe sein. Das Töten diente von nun an nicht mehr dazu, sich zu schützen, sondern um die Reichtümer der Gegner zu bekommen.
" Anne, komm!", brüllte Bess.
Es wurde höchste Zeit. In Ramis Kopf rauschte es, während sie sich an der Reling aufstellte. Sie fühlte sich wie in einem Nebel gefangen und von ihrem Magen aus stieg Unbehagen auf. Hartnäckig redete sie sich ein, sie
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