Dunkle Häfen - Band 1
hatten anscheinend diese praktischen Wege als Wildwechsel in Beschlag genommen. Ich glaubte nicht, dass es noch menschliches Leben hier gab. Aufgeregt machten wir einen Abstecher und folgten dem anderen Pfad. Gleich darauf kamen wir auf einen kleinen Platz, den die Pflanzen noch nicht vollständig erobert hatten.
Vor uns lagen die Überreste eines Dorfes. Kleine, einstmals wohl mit Palmwedeln abgedeckte Hütten standen rings um einen Platz, auf dem sich ein großer Steinblock befand. Er wirkte absonderlich und unheimlich auf mich. Grünes Moos überwucherte ihn wie alles andere auch. Der Wald war auf dem Vormarsch, überall wuchsen Bäume aus den Hütten, deren Dächer längst fort waren. Hier lebte schon lange niemand mehr. Im Dunkeln wirkte das Dorf umso unheimlicher und lebloser. Es war ein Geisterdorf. Ich überlegte, warum die Menschen hier verschwunden waren. Waren sie fortgezogen, von einer Krankheit dahingerafft worden oder hatte jemand sie alle niedergemetzelt? Eine unheimliche Stille lag über diesem unglückseligen Ort, wo eigentlich Stimmen hallen sollten. Doch der Tod ist nicht laut, dachte ich fröstelnd. Die Stille ist sein Element. Lärm und Schreie sind nur seine Vorboten. Ich trat zu dem Stein und entdeckte eingemeißelte Zeichen. Muster, die mir fremd waren, merkwürdige Gesichter. Mit ihnen konnte ich nichts anfangen. Hinter mir hörte ich Geräusche. Aber es war kein Geisterkrieger, sondern meine Leute, die mir gefolgt waren. Sie blickten sich neugierig, jedoch ohne allzu großes Interesse um.
Schließlich verließ ich den Stein, um mich in einer der Hütten umzusehen. Durch das offene Dach fiel der Mondschein herein und tauchte den Innenraum in gespenstisches Licht. Ein paar verschimmelte Alltagsgegenstände lagen herum. Holzstäbe, die vielleicht einmal Speere gewesen waren. Ein verfaulter Korb, der in einer Ecke lag. Spuren menschlicher Kultur, selbst wenn die Europäer sie als Wilde zu bezeichnen pflegten. Die Feuchtigkeit vernichtete alles hier, überzog jeden Fleck mit Schimmel. Einst hatte hier jemand gewohnt, geschlafen und gelebt. Nun hauste nur noch die Stille in dem Heim. Mit einem Gefühl der Beklommenheit verließ ich das Haus.
Edward turnte auf dem Stein herum. Ich wollte ihm zurufen, sofort da runterzukommen. Doch ich unterließ es, er hätte es nicht verstanden. Ich wusste ja selbst nicht, warum es mich störte. Die anderen Hütten waren entweder ganz leer oder enthielten wie die erste ein paar alte Utensilien. Nur in der größten und am besten erhaltenen fand ich etwas Aufschlussreiches: ein völlig verrostetes Gewehr. Es waren also schon lange vor uns Weiße da gewesen. Sie mochten die Ursache für die Verlassenheit des Dorfes sein, vielleicht auch nicht. Als wir nichts weiter fanden, machten wir uns wieder auf den Weg.
Es dauerte wirklich nicht mehr lange und wir erreichten den angegebenen Punkt. Von hier aus konnte n wir den zweiten Berg sehr gut erkennen. Die Aufregung war förmlich greifbar, als wir nach einem Anhaltspunkt suchten, einem Hinweis auf den Schatz. Vielleicht mussten wir danach graben. Dann jedoch entdeckte Morrey den Einstieg zu einer Höhle. Ein rattenähnliches Fellbündel raste bei unserem Anblick davon, tiefer in die Höhle hinein. Mit Fackeln bewaffnet, folgten wir ihm in die Dunkelheit. Kalt war es in der Höhle. Wir schauten uns um, soweit der Fackelschein reichte. Auch hier stand ein ähnlicher Stein wie unten im Dorf. Ich hielt die Höhle für ein Heiligtum der Eingeborenen. An den Wänden waren Halterungen für Lichter. Am Boden lagen helle Stöcke, zumindest hielt ich sie zuerst dafür. Doch als ich sie näher unter die Lupe nahm, ließ ich sie wieder fallen, als wären sie glühend heiß.
"Das sind ja Knochen!" , rief ich aus.
Grünliche, zersplitterte Menschenknochen. Schädelfragmente starrten mir stumm entgegen, leere Augenhöhlen, zerbrochene Kiefer.
Das hier war ein Grab.
Es musste etwas Schreckliches an diesem Ort geschehen sein. Diese Menschen waren ganz sicher gewaltsam gest orben. Oder war es am Ende doch nur ein normales Grab? Vielleicht war der Eingang versiegelt gewesen und inzwischen waren die Tiere hier eingedrungen. Andererseits sahen Gräber feierlicher aus, mit Beigaben versehen. War das hier eine Opferstätte gewesen oder eine Zuflucht vor einem mörderischen Feind? Wir konnten es nicht wissen, mir gefiel allerdings keine der beiden Möglichkeiten. Auf jeden Fall war es ein schlechter Ort, die Erde sicher mit Blut
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