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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Tageszeit zu denken. Ihr Fehlen schien im Haus nicht aufzufallen, denn niemand kam, um sie zu wecken. Vielleicht hatten die Bewohner von Maple House vergessen, dass es sie gab. Für gewöhnlich beachtete sowieso kaum jemand die schmale Gestalt, die wie ein Schatten durchs Haus huschte. Nur wenn es etwas zu arbeiten gab, erinnerte man sich an sie.
     
    Erst am Nachmittag wachte sie wieder auf. Kaum weniger erschöpft stand sie auf und sah nach Martha. Diese schlief immer noch. Also beschloss Ramis, sich erst einmal waschen zu gehen. Sie benutzte die abgelegenen Flure des Hauses, bei denen sie sich sicher sein konnte, dass niemand ihr begegnen würde, um nach draußen zu gelangen. Ihre Mitbewohner wuschen sich nur in einer Schüssel, deshalb war sie die Einzige, die sich morgens in den Garten schlich, um sich am Brunnen gründlich zu waschen. Seltsamerweise betrachteten die Leute in der Stadt - selbst in den höchsten Kreisen - das Baden als etwas Ungesundes, was Ramis unverständlich fand. Einen Badezuber hatte sie aber nicht, deshalb musste sie in den Garten. Sie fühlte sich nur einigermaßen sauber, wenn sie sich mit viel Wasser den Dreck abspülte. Vor allem seit der Sache mit Sir Edward waren ihre Waschungen zu etwas Zwanghaftem ausgeartet. Während sie sich teilweise entkleiden musste, um sich im Schutze eines Gesträuchs mit dem eiskalten Wasser zu waschen, fröstelte sie nicht nur vor Kälte. Obwohl sie sich sicher war, dass um diese Zeit niemand im Garten war, fürchtete sie sich. Sie wollte die Luft nicht auf ihrer bloßen Haut spüren. Das Wasser verursachte ihr eine Gänsehaut und sie zitterte. Aber die Müdigkeit verschwand. Ramis schöpfte mit beiden Händen Wasser und tauchte ihr Gesicht hinein. Dann füllte sie noch einmal ihre Schüssel und leerte sie über ihre nackten, schmutzigen Füße. Auf dem Boden bildete sich eine Pfütze, die langsam in der Erde versickerte. Die Sonne war warm auf ihrer gekühlten Haut und fühlte sich angenehm an. Interessiert sah sie zu, wie einige Wassertropfen über ihren Arm perlten. Wie Tränen, dachte sie. Ein weiterer löste sich aus einer Haarsträhne und rollte über ihre Brust. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten warf sie wieder einen Blick auf ihren Körper und war erstaunt, wie sehr er sich verändert hatte. Es verwirrte sie und stieß sie ab. Eilig trocknete sie sich ab und zog ihre Sachen wieder an. Erst dann wrang sie ihr tropfnasses Haar aus.
    Irgendwie hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, aber auch als sie die Umgebung absuchte, konnte sie niemand en entdecken. Der Garten bot allerdings viele Versteckmöglichkeiten und hinter dem spiegelnden Fenster, das sie von hier aus sah, konnte sie nichts erkennen. Das Zimmer dahinter betrat nie jemand, es war ein stets verschlossener Raum. In der Phantasie eines jungen Mädchens gab das reichlich Anlass zu Vermutungen über Gespenster und schreckliche Ereignisse darin in grauer Vorzeit.
    Nun werde ich aber völlig verrückt, schalt Ramis sich. Überall sah sie Menschen, die sie beobachteten. Leise schlich sie zurück ins Haus. Sie überlegte, wann der neue Gärtner kommen würde, der den an der Grippe gestorbenen ersetzen sollte. Vielleicht würden es auch mehrere sein, weil die Gartenanlage so groß war. Und sie würden es sicher nicht so gern sehen, wenn ein kleines Dienstmädchen das Gras platt trampelte und auf die Bäume kletterte. Sie könnte auch nicht mehr zwischen den Blumen und Rosenhecken Zuflucht vor der Bosheit der Menschen suchen. Früher hatte sie sich manchmal mit Bonny und ihren Stoffpuppen, die Martha ihr gemacht hatte, ins Gras gesetzt und gespielt. Inzwischen machte ihr das keinen Spaß mehr. Martha hatte sowieso gemeint, dass ihre Spiele garstig seien. Warum immer jemand umgebracht würde, hatte sie gefragt. Darauf konnte Ramis keine Antwort geben. Sie wusste nur, dass es böse Puppen gab, die den anderen, den Guten, auflauerten und sie mit kleinen Stöcken niederschlugen. Dabei begann sie immer unmelodisch zu summen, aber nicht aus Freude. Der Böse war stets eine Puppe mit schwarzen Haaren gewesen. Ramis hatte sie nach dem schrecklichen Abend in Kensington Palace tief in der Erde vergraben. Ich hätte sie verbrennen sollen, dachte sie.
    Im Haus war es wie üblich stockdunkel nach dem hellen Tageslicht. Es war auch schon wieder staubig in den unzugänglichen Ecken, Ramis verspürte einen starken Niesreiz. Vielleicht würde Francis bald wieder einen Großputz ansagen. Allerdings waren noch

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