Dunkle Häfen - Band 1
und dann erlosch auch die letzte Glut. Ihr wurde kalt. Lautlos erhob sie sich und legte sich angezogen ins Bett. Die Laken waren klamm und ungemütlich. Sie hatte das Gefühl, in einem uralten Haus zu liegen, ganz allein und meilenweit keine menschliche Seele mehr um sie herum. Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, das Bett nach Ungeziefer abzusuchen. Manchmal versteckte sich eine Kakerlake zwischen den Laken oder Käfer krabbelten darin umher, ganz zu schweigen von den verschiedenen Spinnen. Dennoch zog sie sich die Decke bis zum Hals hoch. Schlafen konnte sie nicht, aber irgendwann fiel sie in eine Art Dämmerzustand, aus dem sie aufschreckte, wenn sie glaubte, ein Geräusch vernommen zu haben. Die Geister wisperten wieder und streiften sie zart mit ihren eisigen Fingern.
Das Quietschen an der Tür drang laut in diese zeitlose Welt. Greller Lichtschein blendete sie, als sie aufschreckte. Sie konnte die Augen nicht aufmachen, so weh tat es. Eine Hand vor dem Gesicht, versuchte sie etwas auszumachen. Das Licht schwankte heftig. Ramis erwartete fast ein Geist, einen Untoten. Doch bald erkannte sie die Gestalt, die sich am Türrahmen festhielt. Sie musste sich die Decke vor den Mund halten, um nicht zu schreien. Sir Edward sah nicht aus wie sonst. Seine Kleidung war in Unordnung und die Perücke fehlte. Er ließ den glasigen Blick durch den Raum schweifen. Die Laterne in seiner Hand wackelte, als er sie hochhob. Am anderen Ende des Raumes entdeckte er die erstarrte Ramis.
"Semi..." , murmelte er.
In seinen Augen stand ein so seltsames Flackern, dass sie zu zittern begann. Er verhielt sich ganz anders als sonst und das verunsicherte sie noch mehr. Schlotternd schlang sie die Arme um ihre angezogenen Knie, als er sich in Bewegung setzte. Offensichtlich konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Ramis presste sich mit dem Rücken an die Wand und zog die Decke noch höher, als könne diese sie beschützen.
"Nein!" , hauchte sie schwach. "Geht!"
Er reagierte nicht im Geringsten.
"Ich bin schwanger! Bitte geht!" Ihre Stimme wurde zunehmend schriller.
Nackte Angst löschte jedes andere Gefühl aus. Jetzt roch sie auch den beißenden Gestank nach Alkohol, der unberechenbar machte. Alles an ihm strahlte eine so brutale Gewalttätigkeit aus, dass das Mädchen versuchte, sich durch die Wand zu drücken, doch die kalten Wände ließen es nicht hindurch.
"Warum tust du das?" , lallte er unsicher.
" Warum hast du dich so verändert, du kleine Schlampe?", brüllte er Ramis plötzlich an und stürzte sich auf sie.
Ihr blieb die Luft weg, als er auf ihrem Bauch landete. Eine Woge des Entsetzens überwältigte sie. Die Furcht um ihr Kind verlieh ihr neue Kraft und sie stieß ihn von sich, so dass er zu Boden stürzte. Sie mühte sich aus den Decken, um zu fliehen, aber sie stolperte über seine Gestalt, die sich gerade aufrappelte. Der Aufprall machte sie fast bewusstlos. Ein stechender Schmerz raste durch ihren Bauch. Sir Edward beugte sich schon wieder über sie.
"Du willst mich nicht!" , stieß er hervor. "Du miese Verräterin!"
Ein hinterhältiger Schlag in den Unterleib brachte den unerträglichen Schmerz zum Explodieren. Ihr Rock durchtränkte sich auf einmal mit Blut, als etwas in ihr riss. Bei der nächsten Welle des Schmerzes schrie sie markerschütternd auf, dann versank sie in seliger Schwärze.
Um Ramis herum war alles verschwommen. Die Zimmerdecke über ihr bewegte sich und waberte und die Wände drehten sich wild. Es gab keine Form mehr. Auch wenn sie die Augen schloss, war alles in Bewegung. Sie stöhnte. Brennende Schmerzen bohrten in ihr. Weit entfernt vernahm sie eine Stimme, die einen Halt in diesem Chaos darstellte.
"Ramis! Wach endlich auf!"
Ramis öffnete wieder die Augen und erblickte eine Frau wie den Mittelpunkt eines gewaltigen Strudels. Sie erinnerte sich an nichts. Ihr war so schlecht.
"Mama!" , krächzte sie. "Ich sterbe, aber im Himmel wollen sie mich nicht!"
"Ssschht ", machte die Frau und setzte ihr eine Schale an die Lippen.
Kühle Flüssigkeit rann durch ihre ausgedörrte Kehle und augenblicklich sank sie wieder in einen tiefen Schlaf.
Als sie wieder erwachte, war die Erinnerung wieder da. Mit verzerrtem Gesicht blickte sie auf die Decke, unter der sich kein dicker Bauch mehr hob.
"Ist es schon da?" , fragte sie mit einer erschreckend kindlichen Stimme, wie ein Kind, das gespannt auf ein Geschenk wartet, das man ihm bereits versprochen hat. Ihr Blick wanderte unstet
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