Dunkle Häfen - Band 1
umher, ohne sich auf etwas länger als ein paar Sekunden zu richten.
"Martha, so gib es mir doch. Sicher braucht es seine Mutter."
"Ramis..."
"Ich weiß schon, wie es aussieht, du musst mich nicht auf die Folter spannen. Ich habe es immer in meinen Träumen gesehen..."
Martha rannen kalte Schauer über den Rücken. Eine Weile brachte sie kein Wort heraus. Ramis quengelte weiter nach ihrem Kind, als wolle sie sich selbst überzeugen, dass alles in Ordnung war. Schließlich hielt Martha es nicht mehr aus.
"Ramis, dein Kind ist tot! Wir konnten es nicht mehr retten... Du musst das als Tatsache betrachten!"
Ramis riss die Augen auf und schrie:
"Das ist nicht wahr! Es kann, es darf nicht sein!"
Mit einem entsetzlichen Laut verbarg sie ihr Gesicht in den Kissen, während sie das Schreckliche zu begreifen suchte. Martha strich ihr über das Haar, aber sie wusste, Trost gab es nicht. Vielleicht konnte nicht einmal die Zeit diese Wunde heilen.
Das Leben des Mädchens stand auf Messers Schneide, seit vielen Tagen hatte Ramis in Ohnmacht gelegen und sobald sie aufwachte, musste Martha ihr Schmerz- und Schlaftränke geben, damit sie das Bewusstsein nicht wiedererlangte. Ramis hatte viel Blut verloren und Martha fürchtete, dass sie innere Verletzungen davongetragen haben könnte. Es grenzte für Martha an ein Wunder, dass Ramis bis jetzt überhaupt noch lebte. Mrs Barnes war ihrer Aufgabe natürlich zu spät nachgekommen. Als sie Ramis gefunden hatte, war Sir Edward bereits weg und Ramis lag in ihrem Blut am Boden. Sie hatte das Kind geboren, doch es war schon tot. Martha war erst später von Emily zurückgekehrt, der es wieder besser ging und erfuhr die unfassbare Neuigkeit. Ramis war noch lebendig und hielt es auch durch. Allerdings ahnte Martha, dass es mit der Hoffnung zusammenhing, ihr Kind zu sehen und für es zu sorgen.
Ramis hob plötzlich wieder den Kopf und Martha erschrak zutiefst über den Ausdruck ihres Gesichts, das um Jahrzehnte gealtert schien.
"Ich habe von ihm geträumt ", stammelte sie tonlos. "Immer und immer wieder. Ich träumte, wir drei wären auf einer grünen Wiese und um uns herum war Frieden, absoluter Frieden." Sie hielt inne und schaute in die Ferne "Es ruft mich. Ich muss zu ihm, jetzt, wo es alleine ist. Ich war nicht fähig, es zu schützen."
Ihre Worte klangen fest und so gar nicht, wie der Wahnsinn, der sich der jungen Frau wieder bemächtigt hatte. Ramis dachte an die Wiege, die sie liebevoll gezimmert und hergerichtet hatten, an die hübschen Spielsachen, die schon ordentlich in eine Kiste gepackt waren, für ein Baby, das sie nie bekommen würde. Es waren niedliche Puppen und Holztiere, wie die aus Afrika und Asien, die in den Zimmern von Maple House standen. Martha hatte bereits aus weichen Stoffresten Babykleidung entworfen. Ramis sah die Tränen auf den Wangen ihrer Ziehmutter, doch in ihr war zu viel Dunkelheit, als dass dort Trauer durchgedrungen wäre.
"Hier hält mich nichts mehr ", wisperte sie.
"Doch!"
Ramis blickte bei dem heftig ausgesprochenen Wort fast ein wenig überrascht auf.
"Ich lasse dich nie im Leben los, Ramis. Versteh jetzt endlich, dein Kind braucht dich, da wo es ist, nicht! Gott wird für es sorgen. Dein Platz ist hier, sonst wärst du gestorben!"
Martha zwang Ramis, sie anzusehen. Ramis war, als nagele Marthas Willen sie in der Welt der Lebendigen fest. Aber wie sollte sie wieder ohne ihre Seele leben? Immer wieder war sie aufgestanden und gleich wieder gestürzt. Sie hatte sich wieder verloren und dieses Mal gab es kein Zurück.
Die nächsten Wochen glichen einem einzigen Alptraum. Martha war völlig verzweifelt, sie hatte keine Ahnung, wie sie dem Mädchen helfen sollte. Und sie trauerte schrecklich um den kleinen Mensch, der nicht leben durfte. Sein erster Schrei in dieser Welt war zugleich sein letzter gewesen. Vermutlich hatte das Kind sogar einige Atemzüge getan, bevor es alleine und in der Kälte verstarb. Ja, es war wohl die Kälte gewesen. Martha verschwieg diese Dinge Ramis, es hätte sie nur zu sehr geschmerzt. Martha fühlte sich so schuldig. Nie war sie da, wenn Ramis sie am Nötigsten brauchte. Wäre sie nur einige Stunden früher gekommen! Wenn sie sich nur nicht gefürchtet hätte, mitten in der Nacht zurückzugehen, als es Emily wieder besser ging! Stattdessen hatte sie dort übernachtet. Obwohl es jetzt sinnlos war, machte sie sich Vorwürfe, bis sie selbst glaubte, am Rande des Wahnsinns zu stehen.
Ramis klammerte sich trotz
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