Dunkle Häfen - Band 1
Ramis beinahe etwas wie Macht, die Macht einer Mutter. Es machte sie euphorisch. Dennoch hasste sie es, wenn sein misstrauischer Blick sie traf, sie hasste alles an ihm. Das übertrug sie auch auf seine Freunde, die ihn besuchten und ihr anzügliche Bemerkungen zuwarfen oder von oben herab ansahen. Einer von ihnen, ein aufgeblasener Höfling, rief ihr zu, als er sie in der Eingangshalle den Boden putzen sah:
"He Mädchen, du hast dich wohl zu viel in fremden Betten rumgetrieben! Wenn du willst, kannst du gern mal bei mir schrubben kommen."
Er lachte gehässig.
Wenn der wüsste, dachte Ramis zähneknirschend und richtete sich auf. Zornig erwiderte sie seinen Blick, bis er mit einer Hand abwinkte und sie stehen ließ. Wütend sah sie ihm nach. Diese Leute betrachteten sich als so überlegen, dass alle anderen für sie nur einfältige Diener waren, die keine Moral kannten. Dabei hatte sie gewiss tausendmal mehr Anstand als dieser Kerl. Sicherlich waren all die schmucken Offiziere, hochmütig in ihren Uniformen, auch nicht besser. Sie würdigten das Dienstmädchen kaum eines Blickes, wenn sie Sir Edward besuchten.
Ein Mann allerdings zeigte mehr Aufmerksamkeit, als ihr lieb war. Gleich, als er in Begleitung eines eifrig buckelnden Dieners in die Eingangshalle trat, wurde sie auf ihn aufmerksam. Er musste so alt sein wie Sir Edward und Ramis glaubte zu wissen, dass er öfters hier vorbeikam. Zweifellos war er einer der Lords mit den uralten Stammbäumen, die sich einiges einbildeten. Doch er hatte ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß. Vor allem nicht die Augen, in denen ein Ausdruck lauernder Intelligenz lag. Ramis musste dabei an einen Raubvogel denken. Seine hohe, noch immer schlanke Gestalt wollte schon an ihr vorbeigehen, als er plötzlich innehielt. Er richtete den Blick auf das Mädchen, das schwerfällig am Boden hockte. Mit ein paar großen Schritten war er bei ihr und zog sie hoch.
"Wer bist du?" , fragte er herrisch. Irgendetwas schien ihn zu erregen.
"Ich..." Ramis war angesichts dieses Überfalls verwirrt, sie kam ins Stottern. "Ein Dienstmädchen."
"Einfältiges Ding! Wie heißt du?"
"Ramis."
Verärgert ließ er sie wieder los, dass sie fast gefallen wäre. Sie wich eilig ein Stück zurück.
"Woher kommst du?"
Ramis schüttelte heftig den Kopf.
"Ich weiß nicht! Weshalb wollt Ihr das wissen? Ich kenne Euch nicht!"
Der Mann murmelte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte und marschierte dann weiter zu Francis, der ihm entgegeneilte. Ramis sah, wie die Männer einige Worte wechselten und zu ihr sahen. Sie packte hastig ihre Putzsachen zusammen und floh. Auf diese Sache konnte sie sich keinen Reim machen, deshalb vergaß sie sie bald wieder.
Doch neben all den Sorgen gab es auch Momente, in denen die Zeit still zu stehen schien und sie alles vergessen konnte. Es war, als würde sie nach langer Krankheit Heilung finden oder als würde ihr jemand kühle Salbe auf die rissige, heiße Haut streichen. So einen Moment erlebte sie, als sich alle in der Gesindestube versammelten, um sich Geschichten zu erzählen. Dieser Raum hatte sogar einen kleinen Kamin und war viel wärmer als Marthas Kammer. In der wohligen Wärme setzten sich alle auf die vorhandenen Bänke und Kisten, andere brachten Decken mit, um sie auf dem Boden auszubreiten. Weder Francis noch die Köchin waren da und so war es sehr friedlich. Abwechselnd gaben Freiwillige ihre Geschichten zum Besten. Niemand verlangte Ramis etwas ab und sie konnte sich entspannen. Sie lehnte ihren Kopf gegen Marthas warme Schulter und kuschelte sich in eine Decke, während sie zuhörte. Sie saßen nahe dem Kamin, in dem das Holz unter der Hitze vor sich hin knackte und brannte, auf der Bank. Mit der Zeit wurde sie schläfrig, eine gedankenlose Zufriedenheit erfüllte sie. Sie spürte das kleine Wesen in sich, auch es schien sich wohl zu fühlen. Manchmal lachte sie mit den anderen über eine komische Anmerkung, dann wieder betrachtete sie die Menschen um sich und studierte ihre erhitzten Gesichter, die auf einmal gar nicht mehr bedrohlich wirkten. Ihre vergnügten Gesichter waren wie eine Einladung, mit ihnen zu lachen. Ramis wünschte sich, dass dieser Abend nie zu Ende gehen würde, sie wollte für immer hier sitzen, eingelullt in Wärme und Stimmengewirr, das sich immer schnell in andächtiges Schweigen verwandelte. Als schließlich doch alle aufbrachen, blieb ihr vor allem die Kälte in ihrem Zimmer in Erinnerung, ihr Schlottern.
Es war
Weitere Kostenlose Bücher