Dunkle Häfen - Band 1
Wiege gelegt. Ramis wusste auch, dass das Geld nie da war, wenn sie es brauchte. Es schien allerdings ziemlich sinnlos, sich darüber zu ärgern. Es gab so viele Ungerechtigkeiten, dass man darüber toll werden konnte.
Fangen wir doch einfach hier an, wo man etwas ausrichten kann.
Sie gab Edward, dem ungewollten Kind, einen unbeholfenen Kuss auf die schmutzige Wange. Sie waren beide so unerfahren darin, Zuneigung zu zeigen und zu empfangen. Lettice hatte nie die Zeit gehabt, ihren Sohn als Kleinkind zu herzen und zu lieben, wie es eine Mutter sollte. In der Gegenwart hatte sie es ganz aufgegeben und schimpfte ständig mit ihm. Edward war angesichts dieses Freundschaftsbeweises plötzlich sehr scheu. Ramis wuchs er dafür nur noch mehr ans Herz. Wenn er nicht da war, fehlte ihr etwas. Nachts schlief er an ihrer Seite und Ramis fühlte sich nicht mehr so verzweifelt. Immer mehr glaubte sie, man hätte ihr ihr verlorenes Kind zurückgegeben.
Ramis fühlte sich seit dem Vorkommnis im Keller im Goldenen Drachen immer mehr wie in einem Hexenkessel. Die tägliche Not und das offen zur Schau gestellte Laster machten sie krank, die Geräusche nachts vergällten ihr das Leben.
Sie träumte, Sir Edward stände an ihrem Bett und grinse zynisch auf sie und seinen Sohn herunter.
"Denkst du an uns?" wisperte er mit seiner Geisterstimme. "Du kannst mich nicht loswerden. Jedes Mal, da du Edward ins Gesicht siehst, erkennst du mich! Du kannst es nicht leugnen... Eines Tages wird er wie ich sein..."
Damit begann er schrill und unmenschlich zu lachen, wie die alte Dame aus dem Geisterhaus und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze.
Ramis schleuderte halb im Schlaf ihr Kissen nach ihm, doch es landete nur irgendwo in der Dunkelheit, ohne auf einen Körper zu treffen. Es war niemand da. Ramis legte sich schwer atmend wieder hin. Ihr Kissen ließ sie liegen; nicht , dass sie auf eine Ratte trat. Sie grübelte fast bis zum nächsten Morgen über ihr Leben nach und es entsetzte sie. Sie wünschte sich, sie hätte alles einfach vergessen und einen ganz neuen Anfang machen können. Stattdessen hing sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart fest, ohne eines davon loslassen zu können. Als sie über Martha nachdachte, stellte sie überrascht fest, dass sie sich mit wachsendem Groll an ihre mütterliche Freundin erinnerte. Er war zu unbestimmt, um ihn fassen zu können, doch er war da, bitter wie unreifer Salat. Unglücklich zog Ramis den kleinen Edward an sich. Er war nunmehr ihr einziger Vertrauter. Niemals würde sie ihn aufgeben. Keine Sache dieser Welt durfte sie jemals trennen, schwor Ramis sich in dieser Nacht. Sie würde es nicht noch einmal durchmachen. Der verhasste Ring funkelte schwach auf, als wolle er sich über sie lustig machen. Ramis zog ihn entschlossen vom Finger und stopfte ihn in eine Schublade neben sich. Der Fluch besagte nicht, wo der Ring sein musste. Am nächsten Morgen hängte sie ihn an einer Lederschnur um den Hals, wo ihn unter ihrem Hemd niemand sehen konnte. Manchmal klirrte es, wenn sich Amulett und Ring trafen.
Einige Wochen später kam Edward grün und blau geschlagen von einem Streifzug heim. Er hatte ständig Ärger mit den anderen Straßenjungen und jetzt hatten sie ihn erwischt. Vor kurzem hatte er einem von ihnen das Geld vor der Nase weggeklaut und daraufhin lauerten sie ihm auf. Sie kesselten ihn ein und einer hielt ihn fest, während die anderen auf Edward einschlugen. Zu dessen großem Glück waren sie bei ihrer Verfolgungsjagd an Liams Stand vorbeigekommen, der ihnen folgte und die Straßenjungen vertrieb. Er trug Edward zum Goldenen Drachen , wo er ihn der geschockten Ramis übergab, die wegen Übelkeit ihre Arbeit schon früh verlassen hatte. Ramis stand nun noch mehr in Liams Schuld, aber er wollte davon nichts wissen.
" Eure Freundschaft ist mir genug", sagte er nur wieder.
Edward hatte danach immer noch nicht genug. Er wollte Rache nehmen, war aber auch nicht bereit, Ramis die Kerle zu beschreiben. Diese raste vor Zorn und hätte sich auf sie gestürzt, wenn sie nur gewusst hätte, auf wen. Dennoch versuchte sie, Edward endlich zur Räson zu bringen. Ihr Vorhaben war zum Scheitern verurteilt. Edward wartete, bis seine Gegner alleine waren und verprügelte die Kleineren und beschoss die Größeren mit einer Wurfschleuder. Er entfesselte einen wahren Kleinkrieg und leider waren die anderen in der Überzahl. Ramis achtete darauf, dass er nicht alleine herumlief, sondern bei ihr
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