Dunkle Häfen - Band 1
Richtung Madame.
"Für die Hexe!" , erklärte er nicht allzu leise.
Ramis verstand und mit einiger Überwindung trat sie zu Madame. Ihre Hand war verkrampft, als sie sie Madame hinhielt.
"Als Zeichen meiner Unschu ld möchte ich Euch das schenken", zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ihre Miene war starr.
Gier blitzte in Madames Augen auf. Eilig zog sie die Kette aus Ramis Hand.
"Ja, natürlich, wie konnte ich nur an dir zweifeln!" . flüsterte sie Ramis voller Ironie zu. "Es muss jemand anderes gewesen sein. Unter diesen Umständen kannst du natürlich hier bleiben. Der wütende Bruder wird erfahren, dass die Frau, die er sucht, nicht in diesem Haus ist. Leider muss ich jedoch deine Miete wegen der vielen Unannehmlichkeiten erhöhen. Wir haben heute große Verluste gemacht."
Madame hob eine Strähne von Ramis Haar an, die aus ihrem Zopf gerutscht war und blies sie davon.
"Aber mit Hilfe deines kleinen Freundes wird dir es sicher gelingen, etwas mehr Geld aufzutreiben!" Verächtlich musterte sie den Jungen. "Was willst du denn von der kleinen Ramis, du Ratte? Was soll sie dir für deine Hilfe geben?" Sie legte ihre dürre Hand auf Ramis Arm. Ihre Finger waren eiskalt. "Es gibt nichts geschenkt auf dieser Welt, Kleine. Und der Bengel kennt dieses Gesetz nur zu gut!"
Wenn Madame lachte, so konnte man nicht im eigentlichen Sinne von einem Lachen sprechen. Es erinnerte mehr an einen Wein- oder Schmerzenskrampf. Ihr Gesicht blieb dabei jedoch vollkommen ruhig, ihre Züge schienen vereist zu sein. Aus ihrem Mund kamen einige trockene Beller, zu mehr war diese Frau nicht fähig. Vermutlich konnte nicht einmal ihr geliebtes Geld ihr wirklich Freude bereiten. Edward indessen war zornig. Er spuckte Madame hinterher, die den Gang entlang davon marschierte.
"Soll sie doch an der Kette ersticken!" , schrie er ihr nach.
Madame drehte sich kurz um und gab Edward zu verstehen, dass er auf der Stelle rausfliegen würde, wenn er noch ein Wort sagte. Ramis legte Edward einen Arm um die Schultern.
"Komm, gehen wir." Sie berührte kurz Lettice Schulter. "Danke. Ich stehe einmal mehr in deiner Schuld."
Lettice nickte und trottete davon, ohne etwas zu antworten. In letzter Zeit war sie sehr abwesend. Sie sah noch müder und grauer aus als zuvor. Ihre Augen waren oft blutunterlaufen und hatten tiefe Schatten. Sie hatte anscheinend nicht einmal bemerkt, dass Ramis und ihr Sohn einen Tag lang verschwunden gewesen waren, oder aber es interessierte sie gar nicht. Ramis hatte den Verdacht, dass Lettice zu trinken angefangen hatte. Oft schleppte sie eine Flasche mit sich herum und hatte einen schlechten Atem.
Sie kehrte mit Edward in die Dachkammer zurück. Dort schob sie ihn auf sein Bett und schaute ihn ernst an.
"Ich bin dir sehr dankbar, Edward. Du bist ein wahrer Freund. Dennoch muss ich dich jetzt fragen: Woher hast du die Kette? Und warum hast du mir nichts davon gesagt?"
Edward zog eine Grimasse.
"Ich wusste, du hättest etwas dagegen. Ich habe sie in dem Schwanenzimmer gefunden. Du warst so aufgeregt deswegen und so habe ich es gelassen, es dir zu sagen."
"Du hast recht, es regt mich auf! War es dir denn immer noch nicht genug, dass sich dieses Haus schier mit uns in Rauch aufgelöst hat? Ich dachte, jeden Moment verschlingt uns etwas!"
"Aber Tante, ohne diese Kette säßen wir jetzt auf der Straße!"
"Du hast recht. Entschuldige. Aber alles, was mit diesem Haus zu tun hat, macht mir Angst. Ich will es nicht bei mir haben." Ramis lächelte zerknirscht.
"Und dein Ring?"
"Das ist eine andere Sache. Ich muss ihn bei mir tragen!"
"Warum?"
Es stimmte wohl, dass Kinder dauernd fragen müssen, dachte Ramis bei sich. Sie erklärte es ihm, so gut sie konnte. Natürlich verstand er sie nicht. Für ihn gab es keine Flüche, vor allem keine lebendigen Ringe. Er konnte nicht nachvollziehen, warum sie ihn nicht einfach verkaufte. Es würde ihnen so viel Geld einbringen! In seinem kurzen Leben hatte Edward bereits gelernt, wie wichtig Geld war. Immer ging es ums Geld. Deshalb war Ramis ja auch so neu für ihn. In ihrem Leben spielte Geld kaum eine Rolle, sie besorgte sich so viel, wie sie zum Leben brauchte und nach mehr trachtete sie gar nicht. Es gab viel Wichtigeres für sie. Doch auch sie hatte schon gemerkt, dass die, die das Geld hatten, die Welt regierten. Leute wie Sir Edward und seine Freunde, die konnten alles haben, was sie wollten. Sie mussten scheinbar nichts tun, um es zu bekommen, es wurde ihnen in die
Weitere Kostenlose Bücher