Dunkle Häfen - Band 2
sollten.
"Aber wir reden doch nur!"
Doch sein Gespür sagte ihm, dass es auch ihm schaden könnte, wenn er zu öffentlich eine verheiratete Frau umgarnte und außerdem hätte er meinen Ruf in den Schmutz gezogen, weil man mir die Schuld gegeben hätte. So wanderte der Junge von dannen. Später, als es schon lange nach Mitternacht war und die Oberschicht dieses Landes sich langsam daran gewöhnt hatte, dass ich auf einmal wichtig war, folgte ich meinen Mann, der bei der Kutsche auf mich wartete.
Es hatte mich erstaunt, wie schnell die ersten Leute, die mich für einen aufsteigenden Stern hielten, plötzlich sehr freundlich wurden. Unter ihnen war auch eine Dame, die sich Antoinette de Mincourt nennt, einen Namen, den sie meiner Einschätzung nur angenommen hat, denn sie ist wohl bürgerlicher Herkunft. Auf ihre Art ist sie sehr schön, sie erinnerte mich sofort an eine sorgfältig angerichtete Süßigkeit. Sie gibt sich alle Mühe, sich wie die anderen zu benehmen, um ihre adlige Herkunft unter Beweis zu stellen, doch es misslingt. Sie trägt die modischsten Gewänder und teuren Schmuck, es nützt nichts. Wie sie in diese privilegierte Gesellschaft gelangen konnte, ist mir schleierhaft, schließlich weiß ich um die unüberbrückbaren Standesdünkel. Vielleicht hat sie die allgemeine Euphorie nach dem Tod des alten Königs genutzt und ist in diesen Jahren hereingeschlüpft, denn dabei hatte sich alles gelockert. Immer wieder kommen Zeiten, in denen sich auch einige Nicht-Adlige oder niederer Adel unter die Oberschicht mischen. Jedenfalls ist sie jetzt da. Ich vermute, sie erhofft sich von mir Unterstützung, obwohl sie mir versicherte, dass dem nicht so wäre und sie mich schon viel früher angesprochen hätte, wenn sie hinter meine Maske aus Stoff und Distanziertheit hätte blicken können. Sie ist Mitte zwanzig, mehr als zehn Jahre jünger als ich. Mir ist nicht einmal klar, ob ich sie mag, denn sie hat eine sehr eigentümliche Art, mit der ich nicht so ganz zurechtkomme.
Sie flüsterte mir zu: "Wisst Ihr, der Regent ist sehr unbeliebt... Es gibt viele, die seine Politik überhaupt nicht schätzen. Gar nicht wenige meinen sogar, dass er irgendwann den jungen König vergiften wolle, um dann selbst König zu werden. Er hat ja alle Konkurrenten schon ausgeschaltet, auf eben diese Weise."
Das hatte ich alles bereits gehört, aber es war vor Jahren einfach an mir vorbeigeflossen, ohne mich zu berühren. Der rasch aufeinanderfolgende Tod mehrerer Dauphins und Dauphines, die Aussetzung der Bestimmungen des Testaments, das Komplott des Herzogs de Maine... Ich hatte trotz allem immer in meiner Welt gelebt. Wie war es möglich, dass ich so lange direkt an Zentrum der Macht hatte leben können und sogar von D'Orléans in seine Ränke mit eingesponnen zu werden, ohne je zu begreifen oder es überhaupt zu versuchen, was da vor sich ging? Diese Frau, Mademoiselle de Mincourt, legte ihre Hand auf meinen Arm, um verschwörerisch weiter zu flüstern.
"Nun muss er fürchten, dass wenn der kleine König volljährig wird, er abgeschoben wird. Und dass seine Feinde dann zurückschlagen werden. Deshalb will er sie am besten zuvor loswerden."
Ich weiß nicht, was davon wahr ist und was nur Spekulation. Und die Motive der Mademoiselle de Mincourt sind mir auch unklar. Aber sie dürfte kaum eine Bedrohung für mich sein, weder sie noch ihre recht deutlich angedeuteten Warnungen. Als ich mit meinem Mann in der Kutsche saß, sagte ich:
"Ich habe heute eine sehr merkwürdige Frau kennen gelernt. Sie..."
Ich erzählte, doch auch er kannte sie nicht und vermutete, sie sei einfach eine Wichtigtuerin. Ja, das wird sie wohl sein, allerdings hat sie etwas an sich, das mich stutzig macht.
Blind
Ramis war blind für jegliche Warnungen. Sie reagierte sogar ausgesprochen gereizt auf die wohlmeinenden Ratschläge. Unter anderem versuchte Adélaide, mit ihr zu reden.
"Das Spiel, das I hr spielt, ist gefährlich. Anne, schon Skrupellosere als Ihr sind in den Mühlen des Untergangs zermahlen worden. Lasst die Finger von dieser Macht. Wenn Ihr den König so beeinflusst, katapultiert Ihr Euch in sämtliche Verschwörungen, die hier laufen."
Aber Ramis wimmelte sie nur ungeduldig ab.
"Ihr habt gut reden, weil Ihr nicht an meiner Stelle seid. Ich kann selbst entscheiden, was ich tue. Keiner hat Euch gefragt! Mir hängen diese Ratschläge zum Halse heraus!"
"Was ist nur mit Euch los? Ihr habt Euch verändert, seit..."
Ramis würgte sie
Weitere Kostenlose Bücher