Dunkle Häfen - Band 2
Ausstellungsstück betrachten?"
"Das ist für gewöhnlich nicht nötig. Ihre Zurschaustellung besorgen solche Menschen meistens selbst. Oder der Ehemann, der eine schöne Frau hat und sich gerne mit ihr zeigt, um besser auszusehen."
"Solches Verhalten ist verabscheuungswürdig!"
"Warum denn? Ist es nicht auch verabscheuungswürdig, dass Ihr den anderen Gästen diesen Abend vermutlich versauert habt? Ihr seid schnell im Kritisieren und könnt Eurerseits keine Kritik einstecken. Aber denkt Ihr wirklich, dass Ihr Euch das leisten könnt? Favoritinnen steigen schnell auf und stürzen schnell..."
"Und Ihr, denkt Ihr manchmal an Eure Frau?" Sie hatte es ausgesprochen, ehe sie darüber nachdachte. Es sollte nur verletzen, seinen elenden Spott durchbrechen.
"An meine Frau?"
Das hatte gesessen. Er fixierte sie mit starrem Blick. Aber auch so war deutlich zu spüren, dass er wütend war. Sehr sogar. Die Luft um ihn herum schien plötzlich in Flammen zu stehen.
"Das geht Euch nichts an. Haltet Euch von meinen Privatangelegenheiten fern!"
"Doch Ihr schnüffelt dauernd in meinen herum!" , fauchte sie nun genauso erzürnt. "Außerdem habe ich Eure Frau nicht umgebracht!"
Sie raffte ihre Röcke, um davon zustürmen, mit oder ohne Kutsche.
Eine harte Hand riss sie brutal herum.
"Verdammtes Luder! Habt Ihr nie gelernt, Eure Zunge im Zaum zu halten?"
Er hatte den Arm wie zum Schlag erhoben und binnen eines Sekundenbruchteils erkannte sie, dass er nicht zögern würde, zuzuschlagen. Das hatte er nie.
" Wagt es nicht!", sagte sie so ruhig und eisig, wie sie konnte. "Wagt es niemals , mich zu schlagen! Habt Ihr gehört, niemals!"
Er ließ sie so plötzlich los, dass sie ein Stück wegtaumelte. Dann schritt er brüsk in Richtung Eingang fort.
Es muss uns bereits von Geburt an bestimmt gewesen sein, einander zu hassen, dachte Ramis bitter.
Tagebuch
November 1720, Paris
Ich weiß nicht, was ich eigentlich in ihm sehe. Aber er hat eine höchst beunruhigende Wirkung auf mich. Seine Anwesenheit lässt mich zurückzucken, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Ich mache mir Sorgen, irgendwann wird er mich erkennen.
In den Abgrund
Eine Woche vor Weihnachten gerieten der Marquis und der englische Lord in einen furchtbaren Streit. Fayford äußerte sich in sehr beleidigender Weise über die Beziehung des Marquis zu der Herzogin de Sourges. Wutentbrannt forderte der Marquis seinen Widersacher zu einem Duell auf, um seine Ehre - und die ihre - zu retten. Beide Männer wussten, dass Duelle verboten waren und mit harten Strafen geahndet wurden, doch es hinderte sie nicht daran.
In der Nacht zuvor hatte es geschneit und brauner Schneematsch bedeckte die Straßen von Paris. In dicke Mäntel und Schals gehüllt, machte Ramis mit einigen anderen Damen einen Spaziergang durch die Gärten der Tuilerien, als sie die Nachricht erreichte. Der Bote wandte sich an Madame de Mincourt, die es Ramis ins Ohr flüsterte. Ihre blassen Augen leuchteten aufgeregt. Ramis zog sich erschrocken den Schal vom Mund und wollte mehr darüber wissen. Sie machte sich Sorgen um den Marquis. Am eigenen Leib hatte sie erfahren müssen, was für ein meisterhafter Fechter Fayford war. Die beiden Männer hatten sich offensichtlich in einem schäbigen Haus verabredet, um ungestört und ohne großes Aufsehen ihren Kampf austragen zu können. Und wenn der Marquis nun in eine Falle geraten war? Sie gab einer ihrer Begleiterinnen die Anweisung, den König zu benachrichtigen und eilte gleich darauf los, um zu dem Ort zu gelangen, den die Mincourt angegeben hatte. Als Ramis in eine der herumstehenden Kutschen sprang, schlüpfte die junge Frau auch herein.
"Ich kann Euch den Weg zeigen, Anne."
Sie war irgendwie anders, undurchschaubar. Aber im Moment hatte Ramis keinen Gedanken für sie. Die Räder wühlten sich spritzend durch den Schneematsch. Je mehr sie in die armen Viertel kamen, desto schlimmer wurde der Straßenzustand. Nur ein paar Bedauerliche wateten durch die Brühe und hoben ihre durchnässten Säume, um wenigstens den Rest ihrer Kleidung zu retten. Der wolkenverhangene Himmel verdüsterte das Straßenbild noch mehr. Schon als Ramis den ersten Blick aus dem Fenster geworfen hatte, hatte sie sich gewünscht, gar erst nicht aufgestanden zu sein. Vor einem der bröckelnden Häuser rief Mademoiselle de Mincourt, man solle hier anhalten.
"Hier ist es."
Sie stiegen aus der Kutsche und ihre Schuhe versanken im Matsch. Es stank nach verwesendem
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