Dunkle Häfen - Band 2
Adélaide legte es Ramis in die Arme, die überrascht war, wie schwer es wog.
"Mon dieu!" , rief die Marquise ungehalten aus. "Wo sind diese Zofen? Nicht einmal klingeln kann man hier nach ihnen!"
Sie streckte wütend den Kopf aus der Tür, aber keiner, der einen Botengang erledigen konnte, kam vorüber.
"Ihr könnt ein Korsett schnüren?" , wollte Adélaide wissen, als sie die Tür wieder geschlossen hatte. "Ich habe keine Lust, auf diese Mädchen zu warten."
Ramis schüttelte den Kopf. "Ich habe es nie selbst machen müssen."
"Ce n'est pas difficile. Nicht schwierig. Kommt, ich helfe Euch erst und dann Ihr mir."
Adélaide schien fest entschlossen zu sein, sich durch nichts von diesem Spaziergang abhalten zu lassen, auch wenn sie selbst kein Korsett schnüren konnte. Aus ihrem Versuch, sich anzukleiden, wurde ein e langwierige Sache. Nie saß es richtig und war entweder zu eng oder zu weit. Spätestens bei den Frisuren hätte auch die Marquise de Creury aufgeben, doch vorher kam Ramis neue Zofe und holte auch die ihrer Mitbewohnerin. Die hatte einfach nicht damit gerechnet, dass ihre Herrin so früh aufstand, weil sie sonst noch länger schlief. Die Zofen brachten alles in Ordnung, während sie sich entschuldigten, weil sie die Damen hatten warten lassen. Heute steckte die Zofe Ramis Haare auf und schlang dekorativ ein leichtes Tuch um ihren Kopf. Zum Abschluss lieh Adélaide ihr einen passenden Sonnenschirm. Die Französin war ganz ähnlich gekleidet, wenn auch ausgefallener. Als sie endlich ausgehfertig waren, machten sie sich auf den Weg in die Gärten. Ramis verwunderte es fast, dass man nicht erst um Erlaubnis fragte, in die Gärten gehen zu dürfen. Hier schien wirklich das meiste öffentlich und ein Schaustück zu sein. Sie verließen den Palast nach hinten hinaus.
Das erste, was Ramis ins Auge sprang, war die vollkommene Symmetrie, in der alles angeordnet war, jeder Busch und jedes Blumenbeet. Sie standen auf einer Terrasse, von der eine breite Treppe hinunter führte. Vor ihnen hielten Wasserspeier und Springbrunnen das Wasser in großen Becken in Bewegung. Kunstvolle Statuen schmückten sie. Nichts stand zufällig an seinem Platz. Nirgends konnte sie das Ende der Parkanlagen sehen, alles war zu riesig, um es zu überblicken. Eine breite Schneise führte geradlinig in den hinteren Teil der Gärten. Sicher brauchte man einen Tag, um alles zu durchqueren, überlegte sich Ramis. Jetzt erst wurde Ramis klar, dass es in dieser Welt wirklich nichts Natürliches mehr gab, alles hatte der Mensch zu seinen Gunsten verändert, selbst wenn es sehr kunstfertig, ja großartig war. Es gab in nächster Nähe keine großen Bäume, die in der Hitze Schatten gespendet hätten, denn heiß war es heute. Sie hatten Hochsommer und kein Lüftchen brachte Kühlung. Aus diesem Grund war zu dieser Zeit kaum einer im Garten.
"Wir haben hier auch ein ... ein 'labyrinthe', wie Ihr sagt dazu?"
"Auch Labyrinth."
"Wie lustig! Ihr das müssen sehen, ebenso 'la menagerie'! Viele bunte Tiere dort, Ihr werdet staunen."
Adélaide schien trotz der Hitze in voller Fahrt. Ständig fiel ihr etwas ein, was Ramis auch noch unbedingt sehen musste, so dass sie nachher kaum etwas wirklich angeschaut hatt en. Einmal merkte Adélaide bei Gelegenheit an, wie undamenhaft Ramis ging.
"Ihr geht wie ein Mann!", stellte sie entsetzt fest. "Ihr macht viel zu große Schritte! Ihr wisst nicht, wie sich eine Dame bewegt? Mit kleinen Schritten, anmutig. Ihr marschiert wie eine, die nie gelernt hat, wie eine aus einfachem Volk!"
Ramis schnaubte.
"Na und? Wie soll ich denn sonst schnell vorankommen? Mit diesen Schuhen kann man sowieso keine großen Schritte machen! Ist es nicht viel klüger, wie 'eine aus dem Volk' zu gehen?"
Ramis war ärgerlich und fühlte sich persönlich beleidigt, schließlich war sie 'eine aus dem Volk'.
Die Marquise schien die Gereiztheit einfach zu überhören.
"Das fragt Ihr? Die haben doch keine Manieren und keinen Verstand!"
Ramis platzte der Kragen.
"Wie kommt Ihr dazu, so etwas zu behaupten? In meiner kurzen Zeit hier und in London habe ich schon wesentlich mehr adlige Holzköpfe gesehen als unter dem einfachen Volk! Könnt Ihr den Bauern nicht wenigstens Achtung zollen, dass sie Euch diesen ganzen Luxus erarbeiten! Woher kommt denn das Geld?"
Die Französin blinzelte erstaunt.
"Oh, c'est impossible! Ihr sein unverschämt!"
Einen Moment schien sie zornig gehen zu wollen, aber letztendlich unternahm sie nichts und
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