Dunkle Häfen - Band 2
mir widerstehen?"
"Viele, falls es Euch entgangen ist! Warum sonst wärt Ihr vom Hof verbannt? Keiner Eurer Männer hatte die Macht oder den Willen, Euch zu helfen!"
Das schöne Gesicht entgleiste wieder einmal und wurde zu einer Maske.
"Miese kleine Hure!" , fauchte sie. "Ich ahne, mit welcher Zauberei du sie bindest und nach dir hecheln lässt, obgleich sie dich nicht ausstehen können! Aus einem Dreckloch bist du hervorgekrochen und dorthin wirst du auch zurückkehren! Ich werde dein Leben zerstören, bis nichts mehr übrig ist! Und dann werde ich für dich einen Scheiterhaufen entzünden und auf der Asche deiner Leiche tanzen! Fürchte diesen Augenblick, denn er wird dein letzter sein!"
Ramis war kreidebleich. Bevor die Comtesse gehen konnte, krallte sie sich in deren Arm.
"Nicht ich bin die Hexe. Du bist die wahre Ausgeburt der Hölle!"
Danach zog sie ihre Hand fort, als hätte sie sich verbrannt.
Ramis hatte den Bezug zur Realität verloren. Sie hatte das Gefühl, rettungslos herumzutaumeln wie eine Berauschte. Der Sommer mit seiner drückenden Hitze war im Anmarsch und der Regent beschloss wie jedes Jahr, mit einem Teil des Hofstaates zu einem außerhalb von Paris gelegenen Schlösschen zu ziehen, um den stinkenden Gassen zu entgehen. In der Wärme entwickelte der Schmutz in den Rinnsteinen einen so gewaltigen Geruch, dass einem übel davon werden konnte. Achtlos kippten die Leute noch immer ihren Abfall und ihre Nachtöpfe aus dem Fenster. Erleichtert, von all dem wegzukommen, nahm Ramis die Einladung des Königs an, den Tross zu begleiten. Und sie wollte der gefährlichen Melancholie entfliehen, die sie erfasst hatte. Ihr Mann und ihre Tochter würden ebenfalls dabei sein. Zu ihrem Bedauern konnte der Marquis nicht mitkommen, weil ihn anderweitige Verpflichtungen abhielten. Außerdem, so hatte er erklärt, hätte man ihn dort bestenfalls ihretwegen geduldet.
Der König, der einen Tag vor ihnen aufbrach, bot Ramis an, bei ihm in der Kutsche zu fahren, doch sie lehnte höflich ab. Sie wollte lieber bei Guillaume und Charlotte bleiben. Das kleine Mädchen war schon vorher sehr zappelig und konnte die Abreise kaum erwarten. Sie war bis jetzt kaum aus Paris herausgekommen. Aber ihre Freude, die erdrückende Enge der Stadt zu verlassen, war für Ramis nur allzu leicht nachzuempfinden. Das Kindermädchen hatte alle Mühe, seinen Schützling zu bändigen. Ramis bedauerte es trotzdem, nicht darauf bestanden zu haben, sich selbst um ihre Tochter zu kümmern.
Sie brauchten zwei Tage, um ihr Ziel mit dem Namen Beauvert zu erreichen, eines der unwichtigeren Besitztümer der Krone. Die Kutsche kam vor dem Tor eines entzückenden Schlösschens mit schmalen Türmen zum Stehen. Es war ein altertümliches Bauwerk und hatte mit Versailles kaum Ähnlichkeiten, weil es lange vor dessen Zeit erbaut und nie umgestaltet worden war. Der Garten wies nur wenig von den geometrischen Formen auf, die noch immer in Mode waren. Eine leicht gebogene Allee führte schließlich in den Schlosshof, der von Mauern und Gebäuden umgeben war. In seiner Mitte plätscherte ein dreistöckiger Springbrunnen vor sich hin. Die Pferde kamen zum Stehen und man hielt ihnen die Tür auf. Ramis kletterte erwartungsvoll aus der Kutsche und betrachtete ihre Umgebung. Das Schloss gefiel ihr, es war so malerisch schön. Und so ruhig, die Sonne strahlte friedlich in den Hof. Sie war hingerissen von dem Spiel zwischen Licht und Schatten. Sie konnte sich kaum von dem Anblick losreißen, als Diener sie in ihre Quartiere brachten. Der Komplex war in verschiedene Schlafzimmer eingeteilt: Eins für sie, eins für Guillaume und eins für Charlotte, dazu jeweils kleine Räume nebenan für die persönlichen Bediensteten. Was für ein Luxus in einem so kleinen Schloss! Als alles ausgepackt war, schaute Ramis verträumt aus dem Fenster. Sie konnte direkt in den grünen, mit Blumenbeeten geschmückten Garten blicken. Ein Stück entfernt lag ein ebenfalls grüner Teich mit Seerosen, in dem eine griechische Statue als Wasserspeier stand.
"Es gefällt Euch?"
Ramis drehte sich zur Tür um und fand zu ihrer Überraschung den Regenten vor. Er sah nicht aus, als würde er ihr die Freude gönnen. Kühle Abneigung sprach aus seinem Blick.
"Ja, Monsieur ", antwortete sie trotzdem, als hätte sie nichts bemerkt. "Es ist ein kleines Stück Eden."
"Wie schön für Euch. Genießt es nur, solange Ihr könnt... Alles kann sich schnell ändern... Doch ich bin in erster
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