Dunkle Häfen - Band 2
der ein wenig außerhalb des Dorfes lag. In der Mitte stand der Scheiterhaufen. Die Leute drehten sich nach den Jungen um, als sie den Hufschlag hörten.
"Der junge Herr!" , tuschelten sie sich ängstlich zu, denn sie wollten ihn nicht hier haben.
Beißender Rauch drang James in die Nase. Der Haufen stand lichterloh in Flammen und über die Köpfe der Dorfbewohner hin weg erblickte er die Hexe. Sie verbrannte bei lebendigem Leib und sah kaum noch menschlich aus. Die Haare waren längst versengt und die Haut verbrannt... und sie schrie, ihre Schreie drangen über jedes Geräusch hinweg, das Raunen der Menge, das Tosen und Krachen des Feuers. Sie sah wahnsinnig aus, mit dem aufgerissenen Mund in der unmenschlichen Fratze. James ritt zu dem Vorsteher des Dorfes und stellte ihn zur Rede.
"Wer hat Euch das erlaubt?" , wollte er wissen.
Mit seinen zehn Jahren glaubte er nicht mehr an diesen Mummenschanz von Hexen und Flüchen, sein Hauslehrer hatte ihm beigebracht, dass es so etwas nicht gab.
"Äh, das war das Gericht. Sie hat unsere Tiere verhext, das Kind der Walls getötet mit ihrer Magie und einige unserer Männer in ihren Hexenbann geschlagen. Sie hat Unglück über uns gebracht."
"Macht das Feuer sofort aus!" , befahl James schon damals befehlsgewohnt und sie folgten ihm, auch wenn sie dabei abergläubische Furcht hatten.
Für die Frau kam es zu spät, sie starb kurze Zeit später an ihren Brandwunden. Als der alte Lord Fayford bei seinem Besuch der Sache nachging, stellte sich heraus, dass die Tiere an einer Seuche erkrankt waren, das tote Kind an Durchfall gestorben war und die Männer durchaus freiwillig zu der Frau gegange n waren, von Hexerei keine Spur.
In dieser Nacht träumte James von einem brennenden Haus.
"Da ist noch ein Mensch drin!", schrie jemand hinter ihm.
"Ist doch egal ", sagte er. "Sie ist doch nur eine Hexe."
Dann sah er sie zwischen den Flammen, sie stand am Fenster und blickte auf ihn herunter. Die Piratin. Die Hitze schien ihr nichts anhaben zu können, denn sie war nass und Algen hingen in ihrem Haar. Eine düstere Trauer stand in ihren Augen. Die Flammen leckten um sie herum und streichelten sie, aber sie konnten sie nicht mehr fressen, denn sie war schon nicht mehr am Leben. Dunkelheit, Tod und Verdammnis umgaben sie wie Rauch. Ein Lächeln entblößte ihre Zähne, die schwarz und verfault waren wie die einer alten Frau, was ihr eine bösartige Note gab. Langsam streckte sie die blassen Arme aus und griff nach ihm, während ihr Mund sich scheinbar lautlos öffnete und schloss und Wasser daraus hervor troff. Plötzlich schlugen die Flammen höher auf und leckten aus dem Fenster, wobei sie die Gestalt ganz einschlossen und verschlangen. Kurz darauf stürzte das Haus in sich zusammen.
Am nächsten Morgen fühlte James sich wie gerädert, im Spiegel konnte er sich die durchzechte Nacht an den dunklen Ringen unter den Augen ansehen. Noch nie hatte er so lange gebraucht, ihre Spuren zu entfernen. Er wurde doch nicht etwa alt? Nein, dieses Jahr war er gerade erst einunddreißig geworden. Hatte sein Vater doch recht gehabt und die Exzesse zeichneten sich mit der Zeit in im Gesicht des Sohnes ab? Wenigstens war Lord Fayford nichts mehr dergleichen anzumerken, als er sein Haus verließ und sich in die Öffentlichkeit begab. Er war wie üblich perfekt gekleidet und rasiert, verräterische Anzeichen mit einem unsichtbaren Hauch von Schminke getilgt. Sein Vater hatte ihm beigebracht, wie man sein wahres Wesen verbarg und immer den Strahlemann mimte. Daneben pflegte er allerdings ganz bewusst die Aura eines düsteren Geheimnisses, die so viele Menschen anzog. Als er jedoch den Palast betrat, empfing ihn eine andere Art von Düsternis. Schon lange hatte etwas in der Luft gelegen. Gestern hatten die beiden Männer sich Harleys entledigt, der ihnen ein Dorn im Auge gewesen war. Sie hatten seinen Sturz sorgfältig geplant und am 27. Juli 1714 zwang Henry ihn zum Rücktritt. Die Königin, schon kränkelnd und halbabwesend, unterschrieb das Rücktrittsgesuch, sie hatte auf St John gehört, der den Thron den Stuarts erhalten wollte.
Harley verließ den Rat als alter Mann. Das ständige Trinken der letzten Jahre hatte ihm zugesetzt, seine Entlassung schien ihm nun den Rest zu geben. Er spürte wohl, dass er niemals in die Politik zurückkehren würde, die sein Leben gewesen war. Bei seinem Abgang traf er noch einmal auf Lord Fayford. Natürlich wusste er, wem er seinen Sturz zu verdanken hatte.
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