Dunkle Herzen
keinerlei religiöse Erziehung genossen hatten. Er fürchtete, wir müßten nun die Fehler seiner Eltern ausbaden.«
»Hat er das gesagt?«
»Ja, ich kann mich tatsächlich erinnern, daß er genau das einmal zu meiner Mutter gesagt hat. Mom hat ihn immer als wandelnde Sorgenfalte bezeichnet. Dad fürchtete ständig, nicht das Richtige getan zu haben, grübelte dauernd über seine Handlungsweise nach. Damit hat er sich selbst das Leben schwer gemacht. Er war kein Fanatiker, Cam, sondern nur ein Mann, der sich stets bemühte, den richtigen Weg zu gehen.«
»Wann fing er an zu trinken, Clare?«
»Das kann ich nicht genau sagen.« Ihre Finger bewegten sich unruhig auf ihrem Schoß. »Es kam nicht plötzlich, sondern war eher ein schleichender Prozeß, so hat keiner von uns anfangs den Ernst der Lage erkannt. Ich erinnere mich, daß es damit anfing, daß er sich nach dem Essen einen
Whiskey mit Soda genehmigte. Dann zwei, dann drei. Und irgendwann ließ er dann das Sodawasser weg.«
Der Jammer, der in ihrer Stimme mitschwang, veranlaßte ihn, tröstend nach ihren Händen zu greifen. »Clare, ich bin der letzte, der ihn deswegen verurteilen würde. Ich war selber auf dem besten Weg, zum Alkoholiker zu werden.«
»Ich fühle mich wie ein Verräter, Cam. Kannst du das denn nicht verstehen? Ich übe an meinem eigenen Vater Verrat, wenn ich seine Fehler und Schwächen bloßlege.«
»Clare, dein Vater war kein Übermensch. Jeder Mensch hat seine Fehler. Glaubst du nicht, es wäre ihm lieber gewesen, wenn du seine Fehler akzeptiert und ihn trotzdem geliebt hättest?«
»Du klingst wie mein Seelenklempner.« Clare erhob sich und ging zum Fenster. »Ich war dreizehn, als ich ihn zum erstenmal völlig betrunken erlebt habe. Ich bin aus der Schule gekommen, Blair war nicht da, er probte mit seiner Band, und meine Mutter war auf irgendeiner Versammlung. Dad saß am Küchentisch, eine Flasche Whiskey vor sich, und weinte. Es hat mir Angst gemacht, ihn so zu sehen, mit rotverquollenen Augen und unaufhörlich schluchzend. Er sagte immer wieder, wie leid ihm alles tue. Dann versuchte er aufzustehen und fiel hin. Er lag auf dem Küchenfußboden, weinte und stammelte Entschuldigungen.« Ungeduldig wischte sich Clare eine Träne von der Wange. »Er sagte immer wieder: Es tut mir leid, Baby, es tut mir ja so leid. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann gar nichts tun. Ich kann es nicht mehr ändern, es ist zu spät. Ich kann es nicht mehr ändern.«
»Was konnte er nicht ändern?«
»Seine Trinkerei, vermute ich. Er konnte sein Trinkverhalten nicht mehr kontrollieren und meinte, es sei zu spät, jetzt noch etwas zu ändern. Er sagte zu mir, er habe nie gewollt, daß ich ihn so sehe, das schien ihn furchtbar zu belasten. Er wollte nie, daß ich etwas davon mitbekomme.«
»Geschah all das so um die Zeit, als er wegen des Einkaufszentrums in Verhandlungen stand?«
»Ja. Und je mehr die Pläne konkrete Gestalt annahmen,
um so mehr trank er. Mein Vater war zum Kriminellen völlig ungeeignet. Er mag sich ja auf krumme Touren eingelassen haben, aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe.«
»Denk jetzt bitte genau nach. Ist er regelmäßig an bestimmten Abenden noch spät fortgegangen? Hat er sich mit bestimmten Personen getroffen? Einer Gruppe angehört?«
Seufzend drehte Clare sich um. »Mein Vater war in allen möglichen Clubs und Vereinen, Cam, und er ging oft zu Versammlungen oder traf sich mit Kunden zum Essen. Ich habe ihm ständig in den Ohren gelegen, mich doch mal mitzunehmen, aber er hat mich stets ins Bett gesteckt und mir erklärt, ich müsse warten, bis ich größer sei, dann würde er mich zu seinem Partner machen. Eines Abends habe ich mich dann in seinem Auto versteckt …« Sie brach ab, Panik flackerte in ihren Augen, und das Blut wich ihr aus dem Gesicht.
»Du hast dich in seinem Auto versteckt?« hakte Cam nach.
»Nein, nein. Das hab’ ich nur geträumt. Behalte die Bücher, wenn du meinst, daß sie dir weiterhelfen. Ich muß gehen.«
Er nahm sie am Arm, bevor sie zur Tür hinausstürmen konnte. »Was hast du geträumt, Clare?«
»Meine Träume sind ja wohl einzig und allein meine Sache, oder nicht?«
Auf ihrem Gesicht lag genau der gleiche Ausdruck, den er bei ihr gesehen hatte, als er sie aus dem Alptraum aufgeweckt hatte. »Wo ist er in jener Nacht hingegangen?«
»Ich weiß es nicht. Es war doch nur ein Traum.«
»Wo ist er denn in deinem Traum hingegangen?«
Ihr Körper erschlaffte, und sie schien
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