Dunkle Herzen
spielerischen Klaps auf die Brust. »Du sollst dir den Tisch ansehen, Dummerchen.«
Gehorsam begutachtete Atherton den auf volle Länge ausgezogenen Eßzimmertisch, der allen achtzehn erwarteten
Gästen Platz bot. Er war mit einer Damasttischdecke und dem Corelle-Porzellan mit den winzigen Rosenknospen gedeckt. Neben jedem Gedeck stand ein mit Zitronenwasser gefülltes Fingerschüsselchen, eine Feinheit, die Min einem ihrer Frauenmagazine entnommen hatte. In der Mitte der Tafel leuchtete, umgeben von zellophanverpackten Kerzen, das Blumengesteck.
»Du hast dich selbst übertroffen, Min.«
»Du weißt, ich habe es gern, wenn alles hübsch aussieht.« Ihr Adlerblick schweifte durch den Raum, und sie zupfte rasch eine Falte des Brokatvorhangs zurecht. »Edna hat, als sie letzten Monat an der Reihe war, doch tatsächlich Wegwerfgeschirr benutzt. Ich habe mich für sie halb zu Tode geschämt.«
»Ich bin sicher, Edna hat ihr Bestes getan.«
»Oh, natürlich.« Zum Thema Edna hätte sie noch so einiges zu sagen gehabt, aber sie wußte, wie ungeduldig James werden konnte. »Ich möchte den heutigen Tag besonders festlich gestalten, James. Einige der Damen sind vor Angst völlig außer sich. Weißt du, es wird schon davon gesprochen, Selbstverteidigungskurse einzurichten – was ich, wie ich auch zu Gladys Finch bemerkte, als sie mit diesem Vorschlag herausrückte, für ausgesprochen undamenhaft halte. Ich frage mich, was ihnen als nächstes einfallen wird.«
»Nun, Min, wir alle tun nur das, was wir tun müssen.« Er blinzelte ihr zu. »Du vertraust mir immer noch, nicht wahr, Min?«
Sie sah ihn forschend an. »Aber James, das weißt du doch.«
»Dann überlaß nur alles mir.«
»Das tue ich ja auch. Trotzdem, dieser Cameron Rafferty …«
»Cameron tut seine Pflicht.«
Min schnaubte. »Wenn er nicht gerade um Clare Kimball herumstreicht, meinst du. Schon gut, ich weiß, was du sagen willst.« Sie winkte ihm mit ihrer pummeligen Hand zu. »Ein Mann kann seine Freizeit nach eigenem Gutdünken nutzen. Aber man muß Prioritäten setzen.« Sie lächelte
ihren Mann an. »Diesen Spruch führst du doch immer auf den Lippen, nicht wahr, James? Ein Mann muß sich Prioritäten setzen.«
»Du kennst mich viel zu gut.«
»Das sollte ich wohl auch, nach all den Jahren.« Min machte sich an seiner Krawatte zu schaffen. »Ich weiß, daß du dich lieber aus dem Staub machen würdest, bevor die Mädels eintreffen, aber ich sähe es gern, wenn du noch ein paar Minuten warten könntest. Die Vertreter von Presse und Fernsehen werden gleich hier sein, und diese Gelegenheit solltest du nicht versäumen, besonders dann nicht, wenn du dich um den Gouverneursposten bewerben willst.«
»Min, du weißt, daß darüber noch nichts entschieden ist. Außerdem …«, er zwickte sie leicht ins Kinn, »… bleibt das unter uns.«
»Ja, ja, ich weiß. Aber es bringt mich fast um, daß ich nichts darüber verlauten lassen darf. Allein daß die Partei dich als Kandidaten aufstellt! Nicht, daß du es nicht verdienst hättest.« Liebevoll bürstete sie ein Stäubchen von seiner Jacke. »Wenn ich bedenke, wie viele Jahre deines Lebens du dieser Stadt gewidmet hast.«
»Ich baue auch auf die hiesigen Wähler«, erwiderte er. »Aber mach dir nicht allzu große Hoffnungen auf den Gouverneurssitz, Min. Bis zur Wahl ist es noch einige Zeit hin«, erinnerte er sie, als er bemerkte, wie sich ihr Gesicht verdüsterte. »Laß uns die Dinge nehmen, wie sie kommen. Hörst du? Es klingelt. Ich werde öffnen, damit du deinen großen Auftritt vorbereiten kannst.«
Clare hatte sich verspätet – was immer noch besser war, als überhaupt nicht zu erscheinen, und genau das wäre passiert, wenn Gladys Finch nicht angerufen hätte, um ihr eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Aber es war schließlich kein Wunder, daß sie den Termin vergessen hatte, nachdem sie entdecken mußte, daß eine Skulptur aus der Garage verschwunden war.
Kinder, redete sie sich ein, da sie verzweifelt daran glauben wollte, daß ihr wirklich nur eine Horde ungezogener
Kinder einen Streich gespielt hatte. Aber tief in ihrem Inneren nagte die Furcht an ihr, daß dieser Vorfall eine weitaus gefährlichere Bedeutung haben könnte.
Alles, was sie tun konnte, war, den Diebstahl zur Anzeige zu bringen, und genau das würde sie auch tun, sobald sie diese verdammte Versammlung hinter sich hatte.
Warum ausgerechnet dieses Stück? fragte sie sich. Warum die Alptraumfigur?
Unwillig
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