Dunkle Herzen
mit einer Hand die Videokamera fest, mit der anderen tastete er nach der Hand seiner Frau. Joleen ergriff sie und hielt sie fest. Und schluchzte leise.
Wie im Traum ging Ernie zu seinem Platz zurück. Einige Mädchen weinten. Er selbst war auch den Tränen nahe, konnte sich jedoch den Grund dafür nicht erklären. Immerhin hielt er sein Ticket in die Freiheit in der Hand. Zwölf Jahre seines Lebens hatte er für diesen Bogen Papier geopfert, und nun konnte er gehen, wohin er wollte. Tun, was ihm beliebte.
Seltsam, Los Angeles hatte viel von seinem Reiz verloren. Er war nicht einmal sicher, ob er wirklich dorthin fahren sollte, um Gleichgesinnte zu suchen. Er hatte angenommen, hier bereits Gleichgesinnte gefunden zu haben. Nun, vielleicht stimmte das ja auch.
Nun bist du mit dem Opferblut gezeichnet.
Doch bei dem Opfer hatte es sich bloß um einen dämlichen Ziegenbock gehandelt, nicht um einen Menschen. Noch immer konnte er sie schreien hören. Sie schrie und schrie.
Die Abschlußfeier nahm ihren Fortgang, und Ernie hatte Mühe, sich nicht die Ohren zuzuhalten und aus der Turnhalle zu rennen.
Er konnte es sich nicht leisten, Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Körper klebte unter dem Talar vor Schweiß, dem strengen, bitteren Schweiß, den die Angst hervorruft. Die anderen Schüler um ihn herum strahlten oder machten verlegene Gesichter, nur Ernie starrte ausdruckslos vor sich hin. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Sie würden ihn sonst töten. Sie würden ihn töten, wenn sie ahnten, was er gesehen hatte. Wenn sie wüßten, daß er für einen Augenblick die Nerven verloren und den Sheriff verständigt hatte.
Diesen Fehler würde er kein zweitesmal begehen. Ernie atmete mehrmals tief durch, um sich etwas zu beruhigen. Der Sheriff konnte nichts ausrichten. Niemand konnte sie aufhalten, sie waren viel zu mächtig. Seine Angst mischte sich mit einem Hauch dunkler Erregung. Er war einer der ihren, also gebührte auch ihm ein Teil der Macht.
Er hatte mit seinem Blut unterschrieben. Er hatte einen Eid geleistet. Er gehörte dazu.
Das durfte er nie vergessen. Er gehörte dazu.
Für Sarah Hewitt war es zu spät. Aber seine große Zeit brach jetzt erst an.
»Noch nichts Neues, tut mir leid, Bud.«
»Es ist schon über eine Woche her, seit sie das letztemal gesehen wurde.« Bud stand neben seinem Streifenwagen und blickte die Straße hinunter, als ob seine Schwester jeden Moment aus einem Hauseingang auftauchen und ihn auslachen würde. »Meine Mom denkt, daß sie vielleicht nach New York gegangen ist, aber ich … wenn wir doch bloß mehr tun könnten«, schloß er kläglich. »Wir müßten viel mehr tun können.«
»Wir tun, was in unserer Macht steht«, erklärte Cam. »Wir haben die Fahndung nach ihr und ihrem Wagen eingeleitet, ihre Beschreibung an andere Polizeidienststellen weitergegeben und fast jeden hier in der Stadt befragt.«
»Sie könnte doch entführt worden sein.«
»Bud.« Cam lehnte sich gegen die Motorhaube. »Ich weiß, wie dir zumute ist. Aber es gab keinerlei Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens oder eines Kampfes. Ihre Kleider und ihre persönliche Habe sind verschwunden. Sarah ist dreißig Jahre alt, es steht ihr frei, zu kommen und zu gehen, wie es ihr paßt. Wenn ich da wegen Verdacht auf Kidnapping die Feds einschalten wollte, käme ich nie damit durch.«
Buds störrisch verkniffener Mund sprach für sich. »Sie hätte sich mit mir in Verbindung gesetzt.«
»Da gebe ich dir recht. Mein Instinkt sagt mir dasselbe. Aber die Tatsachen sprechen dagegen, und wir müssen uns an die Tatsachen halten. Aber wir werden die Suche fortsetzen. Ich schlage vor, du gehst jetzt runter zu Martha’s und läßt dir von Alice eine schöne Tasse Kaffee machen.«
Bud schüttelte den Kopf. »Arbeit lenkt mich eher ab. Ich hab’ den Bericht gelesen, mit dem du dich gerade beschäftigst, diesem Zeug über Okkultismus, das Blair Kimball für dich zusammenträgt.«
»Eine bloße Theorie. Wir haben keine handfesten Beweise.« Und er wollte tunlichst vermeiden, daß ihm Bud oder sonstwer über die Schulter schaute, wenn er die verschiedenen Möglichkeiten durchging.
»Gut, aber wenn hier wirklich seltsame Dinge geschehen, könnte ich der Sache nachgehen. Ich denke da an den ganzen Kram, den wir in Biffs Schuppen gefunden haben – und an die Art, wie Biff ermordet wurde. Nehmen wir einmal an, da besteht ein Zusammenhang. Vielleicht hat Sarahs Verschwinden ja auch etwas damit zu tun.«
»Jetzt
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