Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
zerschlissenen, schmutzigen Kleid, auf das Fleisch, das sich über den Knochen auflöste. Der Geruch von Verwesung lag um sie herum in der Luft wie ein Schwarm dicker, summender Bienen, brannte ihr in den Augen, im Hals, im Bauch.
Der Boden, auf dem sie stand, war feucht und schlüpfrig. Ein dürrer, stinkender Hund kroch darüber, beschmierte die schwarze Erde, das nasse Gras mit schmutzig grauen Flecken.
Sie stieß die Schaufel durch den Nebel in die Erde und das Gras, füllte das Blatt mit Erde und warf sie in das Grab.
Die Augen der Toten öffneten sich; in ihnen lag ein wahnsinniges, boshaftes Glimmen. Als sie die Hand hob, stachen ihre
Knochen Grauen erregend durch das verweste Fleisch, und sie begann, aus der Erde zu steigen.
Roz fuhr zusammen und schlug nach den Händen, die sie hielten.
»Ruhig, ganz ruhig. Tief durchatmen. Schön langsam.«
»Was ist passiert?« Wieder stieß Roz Mitchs Hand fort, bis sie begriff, dass sie auf dem Boden lag, halb in Mitchs Schoß.
»Du bist ohnmächtig geworden.«
»Ganz bestimmt nicht. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie in Ohnmacht gefallen!«
»Dann betrachte dies als Premiere. Du bist leichenblass geworden und hast die Augen verdreht. Ich konnte dich gerade noch packen, als du in dich zusammensankst. Du warst aber nur ungefähr eine Minute weg.« Mitch, der selbst ein wenig zitterte, senkte seine Stirn an die ihre. »Die längste Minute meines Lebens.«
Er atmete selbst tief durch, dann noch einmal. »Wenn dir nichts fehlt, stört es dich dann, wenn ich noch einen Augenblick hier sitze, bis ich mich wieder beruhigt habe?«
»Das ist ja wohl das Mindeste.«
»Ich wollte dich nicht aufregen. Wir sammeln nur Theorien. Sehen wir zu, dass wir dich ins Haus bekommen.«
»Du glaubst doch nicht, ich bin zusammengeklappt, weil du mich auf den Gedanken gebracht hast, mein Großvater könnte ein Kuckuckskind gewesen sein? Du lieber Himmel. Wofür hältst du mich denn? Ich bin nicht so dumm und rückgratlos, dass ich wegen dem, was meine Vorfahren getrieben haben, meine eigene Identität anzweifle. Ich weiß verdammt gut, wer ich bin.«
Nun hatte Roz wieder Farbe in den Wangen, und ihre Augen mit den langen Lidern blitzten verärgert.
»Dann sag mir doch bitte schön, warum …« Nun wurde Mitch kreidebleich. »Mein Gott, Roz, bist du schwanger?«
»Reiß dich zusammen. Vorhin hast du mich noch Großmutter
genannt, und jetzt kriegst du die Panik, weil du denkst, ich könnte schwanger sein. Ich habe nicht vor, einem von uns noch einen Nachzügler in die Welt zu setzen, also entspann dich. Wahrscheinlich stand ich unter einer Art Bann.«
»Würdest du mir das vielleicht erklären?«
»Wir hatten gerade noch miteinander gesprochen, und im nächsten Moment stand ich … keine Ahnung wo, aber ich stand über einem offenen Grab. Sie lag darin. Amelia, und sie sah nicht gerade blendend aus.«
Unwillkürlich schauderte Roz und lehnte den Kopf an Mitch. An seine starke, breite Schulter. »Sie war nicht nur tot, sie verweste schon. Ich konnte es sehen und riechen. Davon bin ich wahrscheinlich umgekippt. Es war, gelinde gesagt, sehr unangenehm. Ich habe sie beerdigt, nehme ich an. Dann schlug sie die Augen auf und begann, aus dem Grab zu klettern.«
»Falls es dir ein Trost ist, wenn ich so etwas erlebt hätte, wäre ich auch ohnmächtig geworden.«
»Ich weiß nicht, ob das hier war, ich meine, direkt an dieser Stelle. Es erschien mir nicht so, aber sicher kann ich mir nicht sein. Ich bin schon unzählige Male hier hergegangen. Ich habe dieses Schattengrün gepflanzt, diese Herbstduftblüten, und bisher ist mir hier noch nie irgendetwas komisch vorgekommen.«
»Um eine weitere Theorie zu riskieren, du warst noch nie so nahe daran herauszufinden, wer Amelia war.«
»Vermutlich nicht. Wir müssen graben.« Roz stand auf. »Wir müssen graben und nachsehen, ob sie hier liegt.«
Sie stellten Lampen auf und gruben bis nach Mitternacht. Die Männer und Roz, außerdem wechselten sich Stella und Hayley damit ab, die Schaufel zu schwingen und im Haus auf die schlafenden Kinder aufzupassen.
Sie fanden nichts als die Knochen eines einst geliebten Hundes.
»Könnte eine metaphorische Bedeutung haben.« Roz schaute zu Harper auf, als sie am nächsten Tag durch das Wäldchen nach Hause gingen. Sie wusste ganz genau, warum er bei ihr war und ihr wie beiläufig den Arm um die Schulter gelegt hatte – weil Mitch ihm erzählt hatte, dass sie ohnmächtig geworden
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